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Zwei Jahre und drei Tage europäische Bankenaufsicht – Was hat sich geändert?

Rede von Sabine Lautenschläger, Mitglied des Direktoriums der EZB und stellvertretende Vorsitzende des Aufsichtsgremiums der EZB,
Banken- und Unternehmensabend der Hauptverwaltung in Bayern der Deutschen Bundesbank, München, 7. November 2016

Sehr geehrte Damen und Herren,

erinnern Sie sich an den 28. Juni 2012?

An diesem Tag, einem Donnerstag übrigens, wurde in der Mongolei ein neues Parlament gewählt, während in Berlin der Bundestag einem Gesetzesentwurf zur Besteuerung von Sportwetten zustimmte. In den USA wüteten Waldbrände, und über Großbritannien tobte ein Sturm. Hier in München waren es knapp 26° Celsius bei wechselhafter Bewölkung.

An all das werden Sie sich vermutlich nicht erinnern. Vielleicht erinnern Sie sich aber an das, was am 28. Juni 2012 in Brüssel geschah. Dort trafen sich die Staats- und Regierungschefs der EU, um über die Krise im Euro-Raum zu beraten, die zu diesem Zeitpunkt einen neuen Höhepunkt erreicht hatte. Auf diesem Treffen fassten sie den Beschluss, eine europäische Bankenaufsicht zu schaffen – einen „einheitlichen Aufsichtsmechanismus“ wie es in der Gipfelerklärung heißt.

Danach ging alles ganz schnell. Kaum zwei Jahre später, am 4. November 2014, übernahm die EZB offiziell die Verantwortung für die Bankenaufsicht im Euro-Raum. Von heute aus gerechnet, ist die Bankenaufsicht also vor zwei Jahren und drei Tagen in Europa angekommen.

Und die Frage des Abends lautet: Was hat sich seitdem verändert?

Die Bankenaufsicht – in Europa angekommen

Was sich ganz grundsätzlich verändert hat, ist, dass Banken im gesamten Euro-Raum jetzt nach denselben hohen Standards beaufsichtigt werden – möglichst objektiv, ohne nationale Brille und nach dem Grundsatz „gleiches Geschäft, gleiches Risiko, gleiche Aufsicht“.

Das erhöht auf lange Sicht die Stabilität des Bankensektors, hilft, das Vertrauen in die europäischen Banken wiederherzustellen, und trägt zu einem fairen Wettbewerb bei.

Haben wir bereits alles erreicht, was mit einer europäischen Aufsicht bezweckt war? Ich denke, wir sind in den vergangenen zwei Jahren und drei Tagen ein gutes Stück des vor uns liegenden Weges vorangekommen; am Ziel angekommen sind wir aber noch nicht.

Auf zwei entscheidende Themen möchte ich gern näher eingehen, denn hier in München, der Hauptstadt Bayerns, darf man sich auch mal selbst loben.

Erstens haben wir nun eine einheitliche Methode für das wichtigste Werkzeug der Bankenaufsicht entwickelt: den aufsichtlichen Überwachungs- und Überprüfungsprozess, für Fachleute kurz SREP.

Den SREP wenden wir zurzeit für die 129 größten Bankengruppen im Euro-Raum an, diejenigen Banken also, die direkt von der EZB beaufsichtigt werden. Jede einzelne dieser Banken nehmen wir unter die Lupe und erstellen ihr Risikoprofil. Und das tun wir sehr gründlich und umfassend: Wir schauen uns dabei nicht nur Höhe und Qualität des Eigenkapitals und der Liquidität sowie das dazugehörige Risikomanagement an, sondern auch das Geschäftsmodell und die Governance.

Darauf aufbauend ermitteln wir, wieviel aufsichtliches Kapital die Bank vorhalten sollte – zusätzlich also zu dem Kapital, das durch die Regulierung ohnehin vorgeschrieben ist. Ebenso legen wir den aufsichtlichen Liquiditätsbedarf der Bank fest. Und falls notwendig, können wir noch weitere, genau zugeschnittene Maßnahmen ergreifen.

Bankenaufseher im gesamten Euro-Raum arbeiten jetzt also nach derselben Methode – einer Methode, bei der das Wissen und die Erfahrung der Aufseher ergänzt werden durch die Analyse harter Daten.

Und hier profitieren wir davon, dass wir als europäische Aufseher mehr Banken beaufsichtigen und damit auf einen größeren Datenschatz zugreifen können als die nationalen Aufseher es für ihren nationalen Bankensektor konnten.

Wir können zum Beispiel für fast jede Bank und fast alle Geschäftsfelder relevante Vergleichsgruppen unter den Instituten bilden – über den gesamten Euro-Raum hinweg. Die vergleichenden Analysen, die damit möglich sind, helfen uns, Geschäftsaktivitäten wie etwa Leverage Finance und das dazugehörige bankinterne Management schneller und besser einzuschätzen und Risiken frühzeitig zu erkennen. Hier haben wir im letzten Jahr große Fortschritte gemacht.

Und wir haben nicht nur eine einheitliche SREP-Methodologie entwickelt. Wir haben auch die Art und Weise harmonisiert, wie Aufsicht im Euro-Raum die nationalen Optionen und Wahlrechte ausübt, die ihr in der Bankenregulierung gewährt wurden. Wir haben uns darauf geeinigt, diesen Spielraum einheitlich zu nutzen. Etwas anderes wäre für eine europäische Aufsicht, die den Grundsatz der Gleichbehandlung im Mandat stehen hat, auch gar nicht denkbar.

Das war ein wichtiger Schritt, aber er hat uns nicht weit genug gebracht. Die Regulierung von Banken ist in vielen Fällen weiterhin sehr national ausgerichtet. Das liegt unter anderem daran, dass etliche europäische Regeln noch in nationales Recht übertragen werden müssen, und die Ausgestaltung dieser Übertragung kann dann in Frankreich ganz anders aussehen als in Deutschland oder Spanien.

Unterschiede in der Regulierung von systemisch relevanten Banken, wie beispielsweise unterschiedliche Vorgaben an das Risikomanagement von Investmentbanken, je nach dem wo ihr Heimatland liegt, machen nur selten Sinn. Unterschiedliche Regeln machen nur dann Sinn, wenn nationale Besonderheiten zu unterschiedlich zu bewertenden Risiken führen, und dies in der nationalen Regulierung berücksichtigt wird. Denn die Regel „gleiche Aufsicht bei gleichem Geschäft und gleichem Risiko“ verlangt ja gerade nicht eine Gleichmacherei ohne Sinn und Verstand.

Ich gebe Ihnen zur Veranschaulichung ein Beispiel für Unterschiede, die keinen Sinn ergeben und die uns das Leben als europäische Aufsicht sehr schwer machen. Die Bankenaufsicht prüft, ob Kandidaten für die Leitungsgremien von Banken fachlich geeignet und persönlich zuverlässig sind. Das ist eine wichtige Aufgabe, der jedoch Regeln zu Grunde liegen, die national sehr unterschiedlich aussehen.

In einigen Ländern werden zum Beispiel nicht nur Kandidaten für Leitungsgremien geprüft, sondern auch für Schlüsselfunktionen auf darunterliegenden Ebenen.

In einigen Ländern gilt ein Kandidat als nicht zuverlässig, wenn er in erster Instanz wegen eines Vermögensdeliktes rechtskräftig verurteilt wurde; in anderen Ländern gilt dies nur bei der Verurteilung wegen bestimmter Vermögensdelikte und auch nur wenn es sich um ein Urteil letzter Instanz handelt.

In einigen Ländern darf der Kandidat seine neue Stelle nicht antreten, bevor die Aufsicht positiv entschieden hat, in anderen Ländern darf er seine neue Stelle selbst dann antreten, wenn die für die Prüfung notwendigen Unterlagen noch gar nicht vorliegen.

Diese regulatorischen Unterschiede stehen einem einheitlichen Markt im Weg – abgesehen davon sind wir gezwungen, 19 verschiedene anstelle eines einheitlichen Verfahrens zu berücksichtigen. Das ist bürokratisch und teuer. Meint die Politik es also ernst mit der Bankenunion und dem einheitlichen Bankenmarkt, dann muss man sich daran geben, diese „ungerechtfertigten“ Unterschiede in der Bankenregulierung zu beseitigen.

Doch von der Regulierung zurück zur Aufsicht: Die europäische Bankenaufsicht betrifft natürlich zuallererst die 129 großen Bankengruppen, die direkt von der EZB beaufsichtigt werden – für sie hat sich einiges verändert.

Für die gut 3.200 kleineren Bankengruppen hat sich auf den ersten Blick nicht ganz so viel verändert; sie werden nach wie vor von den nationalen Aufsehern beaufsichtigt.

Auf den zweiten Blick zeigt sich aber, dass sich auch in der Aufsicht über die kleineren Banken Einiges getan hat. Gemeinsam mit den nationalen Aufsehern haben wir mittlerweile eine Reihe gemeinsamer Standards entwickelt, die eine Art Rüstzeug für jeden Aufseher darstellen und ihn in seiner täglichen Arbeit unterstützen sollen.

Zurzeit arbeiten wir mit den nationalen Aufsehern daran, eine SREP-Methode für kleinere Banken zu entwickeln. Dabei greifen wir auf einige Erfahrungen und Lösungen zurück, die wir bei dem harmonisierten SREP für die großen, international tätigen Banken gewonnen und entwickelt haben – aber selbstverständlich in einer stark abgespeckten Version, die den Besonderheiten der kleineren Banken Rechnung trägt.

Zudem profitiert die nationale Aufsicht natürlich auch von den zusätzlichen Erkenntnissen, die eine europäische Aufsicht bietet. Dies reicht vom Austausch über akute Risiken bis hin zu Frage, wie sich kleinere Banken in anderen Ländern strukturell entwickelt haben und was das möglicherweise für den heimischen Bankensektor bedeutet.

Zwei Dinge möchte ich aber in Sachen Aufsicht über kleinere und mittelgroße Institute deutlich machen.

Erstens: Wir betreiben keine Gleichmacherei, indem wir nationale Aufsichtsansätze durch einen europäischen ersetzen. Wir sorgen vielmehr dafür, dass Mindeststandards für die Kernelemente der Aufsicht gelten.

Zweitens: Wir betreiben auch keine Gleichmacherei, indem wir die nationale Aufsicht dazu bringen, kleine Banken genauso zu behandeln wie große. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist absolut vernünftig; kleinere Institute stellen in der Regel kleinere Risiken dar; entsprechend müssen sie weniger streng reguliert und weniger intensiv beaufsichtigt werden als große Banken.

Mit der europäischen Bankenaufsicht hat sich für die Banken also einiges geändert – für die großen etwas mehr, für die kleineren etwas weniger. Aber was ist eigentlich mit den Bankaufsehern? Die Aufseher leben ebenfalls in einer neuen Welt. Sie sind in ein internationales Umfeld eingetaucht; sie müssen unterschiedliche Aufsichtskulturen vereinen und sich mit neuen Prozessen und Arbeitsweisen vertraut machen.

Das stellt eine Herausforderung und auch Belastung dar; aber es bietet auch eine großartige Chance. Wir beobachten, wie allmählich eine europäische Aufsichtskultur entsteht, getragen von einer Gemeinschaft europäischer Bankenaufseher. In meinen Augen ist die Bankenaufsicht schon jetzt ein gutes Beispiel dafür, wie Zusammenarbeit in Europa funktionieren kann.

Ohne Frage können und müssen wir unsere Methoden und Prozesse noch verbessern, und auch daran arbeiten wir zurzeit. Wenn man aber bedenkt, dass die europäische Bankenaufsicht gerade erst ihren zweiten Geburtstag gefeiert hat, dann ist sie in ihrem jungen Alter schon einige Schritte gegangen und musste schnell erwachsen werden. Als Teil der Bankenunion trägt sie dazu bei, ein einheitliches Spielfeld für Banken zu schaffen. Auf dieser Grundlage kann dann ein europäischer Bankenmarkt entstehen. Das ist unsere Vision.

Der Bankensektor – noch auf dem Weg nach Europa

Auf einem europäischen Bankenmarkt würden Banken ihre Produkte und Dienstleistungen über Grenzen hinweg anbieten und die Vorteile eines großen Marktes nutzen. Gleichzeitig könnten Kreditnehmer und Sparer zwischen Banken aus dem gesamten Euro-Raum wählen und darauf vertrauen, dass all diese Banken nach den gleichen hohen Standards beaufsichtigt werden. Risiken wären breiter gestreut und der Bankensektor damit stabiler. Gleichzeitig wäre er besser darin, Kapital dorthin zu lenken, wo es den höchsten Nutzen stiftet. Das wiederum würde der Wirtschaft helfen.

Allerdings: soweit sind wir noch nicht. In der Krise haben sich die Bankenmärkte im Euro-Raum ein wenig auseinandergelebt und seitdem noch nicht wirklich wieder zusammengefunden. Immerhin: Seit Ende 2012 scheinen sie sich wieder anzunähern. Von einem einheitlichen Bankenmarkt im Euro-Raum kann allerdings noch keine Rede sein.

Ein Hinweis darauf ist zum Beispiel, dass die Zinsen auf Sparguthaben immer noch von Land zu Land verschieden sind – auch wenn sie sich allmählich anpassen. Ein ähnliches Bild sehen wir, wenn wir statt auf Preise auf Mengen schauen. Nur ein geringer Teil aller Kredite wird über Grenzen hinweg vergeben, und Erspartes wird kaum über Grenzen hinweg angelegt.

Die Bankenunion bereitet den Boden für einen europäischen Bankensektor, aber damit er gedeiht, braucht es mehr. Denken Sie an all die anderen Rechtsbereiche, die für das Bankgeschäft wichtig sind – das Insolvenzrecht zum Beispiel oder das Steuerrecht. Hier gibt es noch viele Unterschiede, die einem europäischen Bankenmarkt im Weg stehen. Und selbst wenn all diese Hindernisse irgendwann beseitigt werden sollten, wird ein europäischer Bankenmarkt nicht über Nacht entstehen.

Also: Zurzeit gibt es keinen wirklich europäischen Bankenmarkt, und das wird auf absehbare Zeit auch so bleiben. Was es aber gibt, ist eine europäische Bankenaufsicht, und das ist schon ein beachtlicher Fortschritt.

Die Lage im Bankensektor – Herausforderungen …

Vor November 2014 hatten Bankenaufseher zumeist nur ihren jeweiligen nationalen Bankensektor im Blick. Jetzt schauen wir über Ländergrenzen hinweg auf den gesamten Euro-Raum. Wir sehen das gesamte Bild, können Banken und ihre Geschäftsaktivitäten miteinander vergleichen und gemeinsame Probleme erkennen.

Doch wie ist die Lage im Bankensektor? Lassen Sie uns zunächst zu den erfreulichen Entwicklungen kommen: Die Banken im Euro-Raum sind in den vergangenen Jahren widerstandsfähiger geworden. Der wichtigste Sicherheitspuffer der Institute, das Eigenkapital, ist in den vergangenen Jahren deutlich gewachsen. So ist die Kernkapitalquote der großen europäischen Banken innerhalb von nur vier Jahren um die Hälfte gestiegen – von 9% im Jahr 2012 auf 13,5% heute.

Die Banken haben also größere und bessere Puffer, um Verluste abzufedern. Entsprechend hat der jüngste Stresstest noch einmal bestätigt, dass die europäischen Banken selbst eine schwere Wirtschaftskrise überstehen könnten.

Das bedeutet aber nicht, dass Banker und Aufseher sich entspannt zurücklehnen und die Augen schließen können. Dabei würden sie all die Herausforderungen aus dem Blick verlieren, denen die Banken sich stellen müssen.

Und hier zeigt sich, wie fragmentiert der europäische Bankenmarkt noch immer ist. Einige der anstehenden Herausforderungen betreffen alle Banken, andere betreffen vor allem Banken mit bestimmten Geschäftsmodellen, und wieder andere betreffen vor allem Banken aus bestimmten Ländern.

Worunter viele Institute im Euro-Raum leiden, ist eine fast schon chronische Ertragsschwäche.

Die durchschnittliche Eigenkapitalrendite großer Banken im Euro-Raum liegt knapp unterhalb von 6%, die geschätzten Eigenkapitalkosten dagegen oberhalb von 8%. Dieses wenig tragfähige Verhältnis von Rendite zu Kosten gilt für die meisten Länder des Euro-Raums, darunter auch Deutschland – hier liegt die Rendite sogar noch unterhalb des europäischen Durchschnitts.

Diese schwachen Erträge sorgen nicht nur die Banker, sondern auch uns Bankenaufseher. Denn nur profitable Banken können ausreichend Neugeschäft abschließen, ausreichend Sicherheitspolster für die von ihnen eingegangenen Risiken aufbauen und sind gleichzeitig für Investoren interessant.

Woran liegt es nun, dass die Erträge der Banken so niedrig sind? „An der strengen Regulierung und den niedrigen Zinsen“ werden hierzulande viele antworten – Banker ebenso wie einige Politiker. Um es gleich vorweg zu sagen: Wer sich mit dieser Antwort zufrieden gibt, übersieht einiges – gewollt oder ungewollt.

Fangen wir mit der Regulierung an. Es stimmt, dass die Regulierung seit der Krise strenger geworden ist. Und es stimmt, dass die Banken einen erheblichen Aufwand betreiben müssen, um sich an die neuen Regeln anzupassen.

Dennoch: Als Aufseherin betrachte ich den neuen regulatorischen Rahmen mit einem gewissen Wohlwollen – ebenso wie Steuerzahler und alle anderen, die unter der jüngsten Krise gelitten haben. Denn wenn wir über die Kosten der Regulierung für Banken sprechen, dann müssen wir auch über die Kosten von Krisen für alle anderen sprechen.

Das wirft ein etwas anderes Licht auf die Diskussion, und es lässt sogar den Gedanken zu, dass die Banken selbst die Regulierung etwas wohlwollender betrachten sollten. Denn auch sie haben unter der Krise gelitten. Hinzu kommt, dass bessere Regulierung ihnen dabei hilft, das Vertrauen zurückzugewinnen, das in der Krise verlorengegangen ist.

Eins ist aber auch klar: Der regulatorische Rahmen darf nicht so eng sein, dass er den Banken die Luft zum Atmen nimmt. Was wir brauchen, sind Regeln, die Stabilität bieten, ohne die Finanzierung der Realwirtschaft zu risikogerechten Preisen unmöglich zu machen. Das ist das entscheidende Kriterium – gerade in einem Land wie Deutschland, wo viele Unternehmen sich über Bankkredite finanzieren.

Wir arbeiten jetzt seit einigen Jahren an diesem regulatorischen Rahmen, der auf globaler Ebene auch als Basel III bezeichnet wird. Um den Banken Sicherheit über die künftigen Regeln zu geben, sollten wir die Arbeiten jetzt abschließen.

Und ein Abschluss der Regulierungsarbeiten auf globaler Ebene ist notwendig. Märkte und Marktteilnehmer sind untereinander vernetzt. Risiken daraus machen nicht vor nationalen Grenzen halt. Deshalb sollten wir uns auf globaler Ebene auf Mindeststandards für zumindest systemisch relevante Banken einigen. Im Übrigen orientieren sich auch die Investoren europäischer Banken an der Einhaltung globaler Regeln. Das Bankensystem ist global und es braucht einen globalen regulatorischen Rahmen – alles andere wäre ein Rückschritt.

So viel zur Regulierung. Was ist nun mit den niedrigen Zinsen?

Die niedrigen Zinsen werden in Deutschland ganz besonders laut und emotional diskutiert. Das liegt unter anderem an zwei Dingen.

Erstens gibt es hierzulande besonders viele Banken, deren Geschäftsmodell sehr zinsabhängig ist. Für die kleineren Institute macht das Netto-Zinseinkommen fast 60% des operativen Ergebnisses aus – bei den großen Banken ist es allerdings kaum weniger.

Zweitens legen deutsche Sparer ihr Geld kaum am Kapitalmarkt an, sondern bei Banken – auch das Geschäftsmodell der Sparer ist also sehr zinsabhängig.

Dennoch: Meiner Ansicht nach wird die Debatte in Deutschland etwas einseitig geführt. Die vorherrschende Meinung hierzulande scheint zu sein, dass die EZB mutwillig eine Geldpolitik betreibt, deren einziger Effekt es ist, Banken und Sparern zu schaden – vor allem deutschen Banken und Sparern.

Ich bin nicht gerade als geldpolitische Taube bekannt, im Gegenteil. Dennoch muss ich in Sachen „niedrige Zinsen“ drei Dinge klarstellen, die in der deutschen Debatte etwas zu kurz kommen.

Erstens legt die EZB die Zinsen nicht willkürlich fest. Die Zinsen spiegeln immer die wirtschaftliche Lage wieder, und die wird von Dingen beeinflusst, die jenseits der Geldpolitik liegen – von der Steuerpolitik, der Finanzpolitik oder von Strukturreformen, die die Zukunftsfähigkeit der nationalen Wirtschaft sicherstellen. Es greift also zu kurz, allein die EZB für die niedrigen Zinsen verantwortlich zu machen. Das ist ein bisschen so, als würde man den Zahnarzt dafür verantwortlich machen, dass er eine Wurzelbehandlung durchführen muss.

Zweitens: Was würde passieren, wenn die Zinsen jetzt stiegen? Der Aufschwung würde ausgebremst, die Arbeitslosigkeit würde steigen und die Inflation fallen. Wäre den Sparern damit geholfen, die ja zumeist auch Arbeitnehmer sind? Wäre den Banken damit geholfen, deren Erträge und Wertberichtungsbedarf davon abhängen, dass die Wirtschaft gut läuft? Ich denke nicht.

Drittens sind die niedrigen Zinsen nur zum Teil ein sogenanntes zyklisches, also vorübergehendes Phänomen. Tatsächlich beobachten wir, dass die Zinsen bereits seit einigen Jahrzehnten sinken – und zwar weltweit. Verursacht wird das durch strukturelle, also langfristige Entwicklungen. Ein Beispiel dafür ist die Demographie: Alternde Gesellschaften sparen mehr, das Angebot an Ersparnissen steigt, der Zins sinkt.

Um es zusammenzufassen: Das Phänomen niedriger Zinsen ist vielschichtiger als die Debatte in Deutschland vermuten lässt.

Das ändert allerdings nichts daran, dass ich sehr skeptisch bin, was weitere Zinssenkungen oder zusätzliche expansive geldpolitische Maßnahmen angeht – mit der Zeit wird der Nutzen geringer und die Risiken dieser Maßnahmen größer.

Und es ändert natürlich nichts daran, dass niedrige Zinsen ebenso wie die strengere Regulierung, eine Herausforderung und Belastung für die Banken darstellen.

Aber, und das ist der nächste wichtige Punkt, sie sind nicht die einzigen Herausforderungen. Die Ertragsschwäche etlicher europäischer Banken geht weit über strengere Regulierung und niedrige Zinsen hinaus.

Neben den Zinserträgen sind Provisionserträge die wichtigste Einkommensquelle der meisten Banken. Und auch dieser nicht-zinsabhängige Teil der Erträge ist unter Druck geraten – seit dem vergangenen Jahr sind die Netto-Provisonserträge der großen Banken im Euro-Raum um fast 7% gesunken.

Und auch hier sind es strukturelle Entwicklungen, die eine Rolle spielen. Ein Beispiel ist das Kapitalmarktgeschäft: Institutionelle Investoren entwickeln zunehmend Interesse an einfachen, passiven Anlagestrategien. Aus Sicht der Banken ist das natürlich ein Problem, denn je einfacher das Produkt, das die Kunden verlangen, desto geringer die Provision für die Bank.

Und wenn wir schon über die Erträge der Banken sprechen, dann müssen wir auch über die Kosten sprechen. Denn wie jeder Kaufmann weiß, hängt der Gewinn eines Unternehmens nicht nur an den Umsätzen, sondern auch an den Kosten. Und die sind bei den europäischen Banken immer noch vergleichsweise hoch. Für jeden Euro, den sie verdienen, müssen sie knapp 65 Cent aufwenden – bei den deutschen Banken sind es sogar 72 Cent.

Die Erträge der Banken sind also relativ niedrig und die Kosten relativ hoch.

Gleichzeitig schleppen einige Banken in Europa noch Altlasten mit sich herum – notleidende Kredite zum Beispiel. Notleidende Kredite belasten nicht nur die Erträge der Banken, sie beschränken auch die Möglichkeit, neue Kredite zu vergeben. Damit tragen sie in einigen Bereichen des europäischen Bankensektors zur Ertragsschwäche bei und bremsen nebenbei Investitionen und das Wirtschaftswachstum.

Eine weitere Ursache der Ertragsschwäche erkennen wir, wenn wir über die einzelne Bank hinausblicken. Die europäischen Banken müssen sich auf einem Markt behaupten, der durch Überkapazitäten gekennzeichnet ist – von „overbanking“ wird immer wieder gesprochen. Das muss nicht zwangsläufig bedeuten, dass es zu viele Banken gibt, oder dass Banken zu groß sind. Was es ganz allgemein bedeutet, ist, dass es ein Überangebot an Bankprodukten gibt. Entsprechend hart ist der Wettbewerb, und das drückt auf die Erträge.

Das ist natürlich kein Zustand für die Ewigkeit – ganz besonders dann nicht, wenn die Erträge der Banken noch von anderer Seite unter Druck geraten. In einem funktionierenden Markt sollten Überkapazitäten mit der Zeit verschwinden – entweder, weil schwächere Banken aus dem Markt ausscheiden, oder weil Banken sich zusammenschließen.

Wir können also davon ausgehen, dass der Markt sich konsolidiert. Erste, in manchen Fällen zaghafte Anzeichen dafür sehen wir bereits, vor allem in denjenigen Ländern, deren Bankensysteme noch sehr kleinteilig sind: Deutschland, Österreich und Italien.

Doch der Markt verändert sich noch aus anderen Gründen. Mit der Digitalisierung hat ein technologischer Wandel eingesetzt, der das Bankgeschäft und den Bankenmarkt grundsätzlich verändern könnte.

Der ehemalige Präsident der amerikanischen Notenbank, Paul Volcker, hat einmal gesagt, die letzte sinnvolle Erfindung im Finanzsektor sei der Geldautomat gewesen. In gewisser Weise trägt die Digitalisierung das Prinzip des Geldautomaten jetzt einen Schritt weiter. Dank des Geldautomaten haben wir rund um die Uhr Zugang zu Bargeld. Dank der neuen digitalen Produkte habe wir rund um die Uhr Zugang zu fast allen Bankdienstleistungen, von überall auf der Welt.

Damit verändert die Digitalisierung das Verhalten und die Erwartungen der Kunden ebenso wie der Geldautomat es getan hat. Würden Sie heute noch ein Konto bei einer Bank eröffnen, bei der Sie Bargeld nur während der Öffnungszeiten und nur am Schalter bekommen? Damals wie heute tun die Banken gut daran, sich an den Erwartungen der Kunden zu orientieren.

Und die Konkurrenz schläft nicht. Mit der Digitalisierung sind neue Anbieter, die so genannten Fintechs, in den Bankenmarkt vorgedrungen. Sie haben das technische Wissen und die notwendigen IT-Systeme, um den Trend der Digitalisierung für sich zu nutzen und ihn gleichzeitig voranzutreiben.

„Wenn der Wind der Veränderung weht“, sagt ein chinesisches Sprichwort, „bauen die einen Mauern und die anderen Windmühlen“. Die Fintechs bauen offensichtlich Windmühlen, und die Banken sollten das vielleicht auch tun.

Meine Damen und Herren, die europäischen Banken leiden an einer Ertragsschwäche, deren Ursachen weit über strengere Regulierung und niedrige Zinsen hinausreichen. Die Banken müssen ihre Bilanzen von Altlasten befreien und sie müssen ihre Kosten in den Griff bekommen. Vor allem aber müssen sie ihre Geschäftsmodelle anpassen.

Nur dann können Sie ihre Ertragskraft wiederherstellen – in ihrem eigenen Interesse, im Interesse ihrer Kunden und im Interesse der Wirtschaft.

… und Risiken

Für uns als Aufseher sind die Geschäftsmodelle der Banken nach wie vor eines der wichtigsten Themen. Auch aus unserer Sicht müssen einige Institute dringend ihre Geschäftsmodelle anpassen.

Und wenn ich von “anpassen” spreche, dann meine ich eine dauerhaft tragfähige Anpassung. Natürlich könnten Banken sich auch auf eine Jagd nach Rendite begeben, indem sie immer größere Risiken eingehen. Diese Art von Anpassung würde allerdings geradewegs zu neuen Problemen führen – für die Bank selbst und im Zweifel für das gesamte Bankensystem.

Vor diesem Hintergrund schauen wir uns nicht nur die Geschäftsmodelle der Banken genau an, sondern auch deren Risikomanagement. Gutes Risikomanagement ist entscheidend, und es funktioniert nur, wenn erstens die Entscheidungsprozesse richtig gestaltet sind, und zweitens die Entscheider über die richtigen Informationen verfügen. Die Governance muss also stimmen und die Datenqualität.

Die Governance der großen Banken im Euro-Raum haben wir überprüft und im Juni die Ergebnisse veröffentlicht. Die Banken haben bereits einiges verbessert, sind zumeist aber noch weit von internationalen Best Practices entfernt. Hier besteht also Nachholbedarf.

Mit Blick auf die Datenqualität bieten die Prinzipien des Baseler Ausschuss für Bankenaufsicht Orientierung. Inwieweit die Banken diesen Prinzipien folgen, schauen wir uns ebenfalls genau an.

Neben Geschäftsmodellen und Risikomanagement gibt es noch ein drittes Thema, das uns Aufseher beschäftigt: und dabei geht es um die Kreditrisiken. Ich hatte das Problem notleidender Kredite in einigen Ländern des Euro-Raumes bereits erwähnt. Dieses Problem muss dringend gelöst werden – nicht nur mit Blick auf die Banken selbst, sondern auch mit Blick auf die Wirtschaft.

Allerdings lassen sich notleidende Kredite nicht über Nacht entsorgen. Es ist offensichtlich, dass einige Banken ihre Bilanzen bereinigen müssen; wie schnell sie das tun können, hängt jedoch an einer ganzen Reihe von Dingen. Zum Beispiel spielen das nationale Insolvenzrecht, nationale Regeln zur Verwertung von Sicherheiten sowie die Effektivität und Effizienz des nationalen Gerichtswesens eine große Rolle – und das fördert nicht überall einen raschen Abbau notleidender Kredite. Erschwert wird der Abbau auch dann, wenn es keine entwickelten Märkte für notleidende Kredite gibt.

Was die Bankenaufsicht angeht, haben wir im September einen Leitfaden zum Umgang mit notleidenden Krediten zur öffentlichen Konsultation gestellt. Dieser Leitfaden enthält Empfehlungen für Banken sowie einige „Best Practices“, die wir zusammengetragen haben und die künftig unsere aufsichtlichen Erwartungen darstellen werden.

Fazit

Meine Damen und Herren, begonnen habe ich meinen Vortrag mit der Frage, was sich in den zwei Jahren und drei Tagen seit Beginn der europäischen Bankenaufsicht verändert hat. In der Antwort auf diese Frage bin ich dann weit über die europäische Bankenaufsicht hinausgegangen – das ist Ihnen vermutlich aufgefallen.

Und in der Tat hat sich die Bankenwelt seit der Krise grundlegend verändert und sie verändert sich noch immer. Die Banken müssen sich an diese Veränderungen anpassen: an die europäische Bankenaufsicht, an eine strengere Regulierung, an niedrigere Zinsen und an die Digitalisierung.

Das ist nicht leicht, aber es führt kein Weg daran vorbei. Denn wie Charles Darwin festgestellt hat, sind es nicht unbedingt die Stärksten, die überleben, und auch nicht die Intelligentesten. Es sind diejenigen, die am ehesten bereit sind, sich zu verändern.

Vielen Dank für ihre Aufmerksamkeit!

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