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Wie man mit asymmetrischen Instrumenten ein symmetrisches Mandat erfüllt: Geldpolitik in Zeiten niedriger Zinsen

Rede von Mario Draghi, Präsident der EZB, anlässlich der 200-Jahr-Feier der Oesterreichischen Nationalbank, Wien, 2. Juni 2016

Vor 200 Jahren erließ Kaiser Franz I. zwei kaiserliche Dekrete, durch welche die Oesterreichische Nationalbank das alleinige Recht erhielt, Banknoten auszugeben und die Finanzen des Kaiserreichs zu stabilisieren. Damals setzte sich nämlich in ganz Europa zunehmend die Erkenntnis durch, dass Zentralbanken bei der Sicherung der Geldwertstabilität eine zentrale Rolle übernehmen könnten.

In Österreich verstand man 1816 unter Geldwertstabilität die Wiedererlangung der Kontrolle über die Währung in der Zeit nach den ruinösen napoleonischen Kriegen.

Seitdem sind zwei Jahrhunderte vergangen, in denen sich gezeigt hat, wie teuer es zu Buche schlagen kann, wenn man nicht für Stabilität sorgt: Wir haben sowohl die verheerenden Folgen einer übermäßigen Inflation (wie den Anfang der 1920er-Jahre hier in Österreich verzeichneten jährlichen Preisanstieg um 1 400 %) als auch die schrecklichen Konsequenzen einer Deflation (wie in den 1930er-Jahren) schmerzlich zu spüren bekommen.

Daher besteht das Mandat der meisten modernen Notenbanken in der Gewährleistung von Preisstabilität. Und es ist auch der Grund, warum die Gesetzgeber diese Mandate symmetrisch gestaltet haben: Von Zentralbanken wird erwartet, dass sie eine dauerhaft zu niedrige Inflationsrate ebenso energisch bekämpfen wie eine auf Dauer zu hohe.

Im Fall der EZB besteht das Ziel darin, die Teuerungsrate auf mittlere Frist unter, aber nahe 2 % zu halten. Im gegenwärtigen Umfeld geht es konkret darum, die Inflationsrate wieder auf ein Niveau von ungefähr 2 % anzuheben. Die von uns in den letzten Jahren ergriffenen Maßnahmen – die Senkung der Leitzinsen in den negativen Bereich, die Durchführung umfangreicher Ankäufe von Vermögenswerten und die Bereitstellung langfristiger Refinanzierungsmöglichkeiten für Banken – zielen auf die Erreichung just dieses Ziels ab.

Warum eine Inflationsrate von 2 % das richtige Ziel für die Geldpolitik ist

Wenn unser Ziel also darin besteht, sowohl eine übermäßige Inflation als auch eine Deflation zu vermeiden, warum setzen wir dann nicht ein Inflationsziel von 0 %? Weil die von uns angestrebte Preissteigerungsrate und unsere Fähigkeit zur Stabilisierung der Preise miteinander verflochten sind. Anders ausgedrückt: Ein stabiler Preisauftrieb von 2 % stellt für sich genommen bereits einen „Stoßdämpfer“ dar, der es uns ermöglicht, für Stabilität zu sorgen. Hierfür gibt es mehrere Gründe, von denen ich gerne zwei herausgreifen möchte:

Erstens ist die Anpassung der relativen Preise bei einer leicht positiven Inflationsrate einfacher. Dies trägt dazu bei, zu verhindern, dass sich kurzfristige Schocks in längerfristige Störungen auswachsen. Grund hierfür ist, dass die Nominallöhne und -preise sogar in den flexibelsten Volkswirtschaften träge sind und sich nur langsam nach unten anpassen.

Bei einer Inflation von 2 % können sich die Reallöhne bei einem Nachfragerückgang nach unten anpassen, auch wenn die Nominallöhne dies nicht tun. Dies wiederum trägt dazu bei, dass die Arbeitslosigkeit niedriger bleibt als dies ansonsten der Fall wäre. Und es sorgt dafür, dass die Folgen eines Abschwungs nicht länger anhalten als nötig. Ein Beispiel in diesem Kontext ist der Abbau des Humankapitals der Arbeitslosen, der zu einer dauerhaft höheren strukturellen Arbeitslosigkeit führt.

Was auf Volkswirtschaften zutrifft, gilt auch für Regionen – erst recht in einer viele Staaten umfassenden Währungsunion wie dem Euroraum. Ein Inflationsziel von 2 % bedeutet, dass weniger wettbewerbsfähige Länder ihre Kosten und Preise im Verhältnis zum Durchschnitt des Währungsgebiets senken können. Dadurch können sie ihre Wettbewerbsfähigkeit ohne destabilisierende Folgen wieder erhöhen.

Der EZB-Rat erkannte die Notwendigkeit eines solchen Puffers im Jahr 2003 ausdrücklich an, als wir unsere Definition von Preisstabilität präzisierten.[1] Seitdem hat der Puffer es den Ländern ermöglicht, ihre Wettbewerbsfähigkeit bei Bedarf anzupassen. Anfangs konnten einige Kernländer dank des Ziels einer Teuerungsrate von 2 % ihre relativen Preise recht problemlos senken, da Staaten mit wirtschaftlichem Aufholbedarf höhere Inflationsraten verzeichneten, was den Durchschnitt des Euroraums anhob. Heute haben sich die Positionen dieser Gruppen umgekehrt, doch das Grundprinzip bleibt dasselbe.

Der zweite Grund, warum ein Inflationsziel von 2 % dazu beiträgt, Schocks aufzufangen, ist, dass es die Durchführung der Geldpolitik unter widrigen Umständen fördert. Ein kleiner Puffer nach oben schafft mehr Spielraum, die Wirtschaft durch eine Senkung der Nominalzinsen zu stützen und mindert das Risiko, dass die effektive Untergrenze erreicht wird.

Das liegt darin begründet, dass bei einem bestimmten gleichgewichtigen Realzinssatz ein höheres Inflationsziel im Verlauf des Konjunkturzyklus höhere nominale Zinsen bedeutet. Von der EZB im Jahr 2003 durchgeführte Simulationen deuteten darauf hin, dass ein Inflationsziel von 2 % die Wahrscheinlichkeit, dass die Nominalzinsen auf null sinken, deutlich verringern würde.[2] Dies deckte sich mit den Schlussfolgerungen einer größeren Anzahl von Forschungsarbeiten zu diesem Thema. Das war auch einer der Gründe, warum sich der EZB-Rat für einen Wert nahe 2 %[3] entschieden hat.

Was damals schon zutraf, hat heute sogar noch an Bedeutung gewonnen. Die Forschungsarbeiten aus dem Jahr 2003 gingen von einem gleichgewichtigen Realzinssatz von etwa 2 % aus, sodass bei einem Inflationsziel von 2 % der gleichgewichtige Nominalzinssatz bei rund 4 % liegen würde. Allerdings gibt es Anhaltspunkte dafür, dass demografisch bedingte hohe Sparquoten und ein geringes Produktivitätswachstum zu einer Verringerung des gleichgewichtigen Realzinssatzes führen.[4] Das Streben nach einem Preisauftrieb in Höhe von 2 % ist daher heute von noch größerer Bedeutung, um die nominalen Zinsen weg von der Untergrenze zu bewegen.

Es muss jedoch auch darauf hingewiesen werden, dass der Rückgang der realen Zinsen keineswegs unausweichlich ist. Er kann zumindest teilweise durch Strukturreformen umgekehrt werden, welche die Produktivität und die Erwerbsbeteiligung erhöhen. Durch derartige Maßnahmen würde das Potenzial für rentable Investitionsmöglichkeiten vergrößert und die Notwendigkeit des Vorsichtssparens verringert. Bei sonst gleichen Bedingungen würde dies zu einem Anstieg des gleichgewichtigen Realzinssatzes führen.

Warum das Ziel symmetrisch sein sollte

Alle genannten Punkte rechtfertigen die Höhe unseres Inflationsziels unter normalen Umständen. Ebenso wichtig ist aber, dass wir unser Ziel symmetrisch verfolgen.

Bei der Geldpolitik geht es großenteils darum, Erwartungen zu lenken. Dies ist ein Prozess, der eine Reihe von automatischen Stabilisatoren in der Wirtschaft in Gang setzt. Wenn Marktexperten beispielsweise davon ausgehen, dass die Zentralbanken mit einem höheren Grad an geldpolitischer Akkommodierung auf negative Schocks reagieren, wird das Eintreten eines Schocks sofort niedrigere reale Zinsen bewirken, da die Reaktion der Notenbank berücksichtigt wird. Das führt dann wiederum zu einem Anstieg von Verbrauch und Investitionen, was dazu beiträgt, den ursprünglichen Schock abzufedern.

Dieser Mechanismus hängt entscheidend davon ab, dass die Zentralbank in ihrem Kampf gegen eine zu niedrige und gegen eine zu hohe Teuerungsrate gleichermaßen glaubwürdig ist.

Das trifft generell zu und erst recht unter den besonderen Umständen, die wir im Gefolge der Krise erleben – ein Umfeld mit einer hohen Verschuldung der Privathaushalte und Leitzinsen nahe der Untergrenze. In einer solchen Situation wäre es besonders ungünstig, wenn der Eindruck entstünde, die Zentralbank könne gut damit leben, dass die Inflation dauerhaft unter ihrem Ziel liegt.

Zunächst würde es dazu führen, dass die Verankerung der Inflationserwartungen verloren geht, wodurch die realen Renditen automatisch ansteigen würden. Dies hätte eine kontraktive Wirkung und könnte nicht durch eine weitere Senkung der Leitzinsen ausgeglichen werden. Und bei fixen nominalen Schulden hätte eine geringere Teuerungsrate eine Umverteilung von den Schuldnern auf die Gläubiger zur Folge, was den Schuldenüberhang verlängern und den Rückgang aufgrund der unterschiedlichen Konsum- und Investitionsneigungen der beiden Gruppen verschärfen würde. Dies ist kein Argument für eine Anhebung der Inflationsziele, da dies lediglich zu einer Umverteilung in die andere Richtung führen würde. Aber es ist ein Argument dafür, dass Zentralbanken ihre Ziele erfüllen müssen.

Zwar sind unser Mandat und unsere diesbezügliche Verpflichtung symmetrisch, doch herrscht eine Asymmetrie bei den Instrumenten, die wir zur Erreichung unseres Mandats einsetzen können. Diese Asymmetrie ist darauf zurückzuführen, dass es eine Untergrenze für Zinsen gibt.

Bei einer zu hohen Teuerungsrate haben wir immer die Möglichkeit, die Zinsen auf ein Niveau anzuheben, das die Nachfrage und letztlich auch die Preise zügelt. Da dies durch Erfahrungen weithin bekannt ist, hängt unsere Glaubwürdigkeit von einem einzigen Parameter ab: unserer Bereitschaft, eine übermäßige Inflation zu bekämpfen. Dass wir dazu in der Lage sind, gilt als selbstverständlich.

Bei einem zu geringen Preisauftrieb ist der Spielraum für Zinssenkungen allerdings begrenzt, da es mit Bargeld ein nicht zinstragendes Substitut für Bankeinlagen gibt. Und da wir nicht die Absicht haben, das Bargeld abzuschaffen, müssen die Zentralbanken im Kampf gegen eine zu geringe Inflation womöglich zu anderen Mitteln greifen als zu Leitzinsen: zu den „unkonventionellen“ Instrumenten. Das ist zur Gewährleistung von Preisstabilität nötig, bringt aber zusätzliche Komplikationen mit sich.

Zum einen müssen wir bei unkonventionellen Maßnahmen auf einer größeren Anzahl von Märkten tätig werden. Dadurch ist das Risiko unbeabsichtigter verzerrender Effekte zwangsläufig größer als beim Einsatz konventioneller Instrumente. Heißt das also, wir sollten diese Instrumente nicht nutzen, wenn sie – wie derzeit – zur Wiederherstellung von Preisstabilität nötig sind? Da wir innerhalb eines Rahmens geldpolitischer Dominanz handeln, lautet die Antwort hierauf ganz eindeutig nein. Unsere Aufgabe besteht nicht darin, die Chancen für Preisstabilität ohne Nebenwirkungen zu maximieren, denn Geldpolitik hat immer Nebenwirkungen. Und es steht uns nicht frei, uns für die Nichterfüllung unseres Mandats zu entscheiden.

Bei der Erfüllung unseres Mandats sollten wir uns jedoch darum bemühen, die verzerrenden Effekte so weit wie möglich auszuschalten. Und genau das haben wir durch die Ausgestaltung unserer Maßnahmen getan. Das ist einer der Gründe, weshalb wir unsere Ankäufe von Vermögenswerten auf die am stärksten „standardisierten“ Märkte, wie jene für Unternehmensanleihen, konzentriert haben. Und dies ist auch der Grund, warum wir das relative Gewicht von Zins- auf andere Instrumente verlagert haben, um unbeabsichtigte negative Folgen für den Bankensektor weitestmöglich zu vermeiden.

Eine zweite mit unkonventionellen Maßnahmen verbundene Komplikation ist, dass die Öffentlichkeit unweigerlich weniger über deren Transmissionskanäle und Wirkungsweise weiß. Angesichts der Tatsache, dass wir nur begrenzte Erfahrungen mit diesen Maßnahmen haben, ist dies verständlich. Allerdings wächst der Bestand an öffentlich zugänglichen Forschungsarbeiten zu den Auswirkungen dieser Maßnahmen rasch an. Wie andere Zentralbanken auch, haben wir viel empirische Arbeit geleistet, um unsere geldpolitischen Impulse zu kalibrieren.

Ich bin zuversichtlich, dass wir die noch verbleibende Wissenslücke in Bezug auf unkonventionelle Instrumente im Laufe der Zeit durch unsere Erfahrungen füllen werden. Schließlich wurde auch schon in der Vergangenheit – vor allem in den 1970er-Jahren – angezweifelt, dass Zentralbanken in der Lage sind, eine hohe Inflation in den Griff zu bekommen, bis die empirische Evidenz der Diskussion ein Ende bereitete. In der Zwischenzeit müssen die Zentralbanken beweisen, dass es keine Diskontinuität gibt, wenn die Zinsen ein Niveau von null erreichen. Unkonventionelle Maßnahmen können ebenso gut funktionieren wie konventionelle.

Die Funktionsweise einer unkonventionellen Geldpolitik

Warum ist das so? Bei der konventionellen Geldpolitik werden die realen Geldmarktsätze unter den geltenden gleichgewichtigen Realzinssatz gesenkt, der seinerseits Nachfrage und Inflation anregt. Ist der gleichgewichtige Zinssatz jedoch so niedrig, dass die Zentralbank ihren Leitzins nicht weit genug unter sein Niveau senken kann, sind die Möglichkeiten begrenzt, durch Änderungen der Kurzfristzinsen stärkere Impulse zu erzeugen. Unkonventionelle Instrumente können unter diesen Umständen dennoch wirksam sein.

Das liegt daran, dass es in der Realität nicht nur einen Zinssatz gibt, der in der Gesamtwirtschaft für Ersparnisse und Investitionen von Bedeutung ist. Es gibt vielmehr eine ganze Reihe von Zinssätzen, die für unterschiedliche Laufzeiten, Arten von Finanzinstrumenten sowie Kreditnehmer und Kreditgeber gelten. Daher können Zentralbanken die Wirtschaft auch ohne große Leitzinsänderungen immer noch ankurbeln, indem sie das Niveau all dieser Zinsen herabsetzen. Dies kann in jeder Lage effektiv sein, besonders aber dann, wenn die Risikoprämien aufgrund einer Marktfragmentierung oder unbegründeten Unsicherheit gestiegen sind.

Angesichts dieses breiteren geldpolitischen Transmissionskanals verfolgen wir eine dreigliedrige Strategie, um der Wirtschaft des Euroraums zusätzliche Impulse zu geben.

Erstens können wir mithilfe unserer Forward Guidance die längerfristigen Zinssätze durch Steuerung der Erwartungen hinsichtlich der künftigen Kurzfristzinsen senken. Dadurch, dass Zinsen nun auch negatives Terrain erreichen können, hat sich auch die gesamte Zinsstrukturkurve abgeflacht, da der Aufwärtstrend der Renditen, der auf der Einschätzung beruhte, dass Zinsen nur steigen und nicht fallen können, gestoppt wurde. Wir haben ja klar gemacht, dass die Leitzinsen für längere Zeit auf dem aktuellen oder einem niedrigeren Niveau bleiben werden.

Zweitens tragen unsere Ankäufe von Vermögenswerten dazu bei, dass die Renditen entlang der verschiedenen Laufzeiten und Kategorien weiter sinken, da sich auf den Märkten, auf denen wir intervenieren, die Risikoaufschläge verringern. Dies führt wiederum dazu, dass Portfolios zugunsten anderer Märkte umgeschichtet werden und die Kreditkosten im gesamten Zinsspektrum sinken. Dies hat eine weitreichende stimulierende Wirkung. Ergänzend kommt der negative Zinssatz für die Einlagefazilität hinzu, der die Neuausrichtung der Portfolios beschleunigt und den Abwärtsdruck auf die Finanzierungskosten verstärkt.

Dieser Impuls erreicht die Wirtschaft unabhängig davon, ob die Finanzierung hauptsächlich über Banken oder über die Kapitalmärkte erfolgt. Banken müssen bei der Portfoliostrukturierung wie alle Anleger die risikobereinigte Kapitalrendite beurteilen, und als Benchmark wird in der Regel die Rendite risikofreier Staatsanleihen herangezogen. Mit dem Ankauf von Staatsanleihen fördern wir also die Kreditvergabe an die Realwirtschaft, indem wir einerseits die Rendite der angekauften Wertpapiere verringern und andererseits die Wirtschaftsaussichten verbessern und so die mit Krediten verbundenen Risiken mindern.

Unterstützend wirkt zudem das dritte Element unserer Strategie, mit dem die Vergabe von Bankkrediten an den privaten Sektor gefördert werden soll: unsere gezielten längerfristigen Refinanzierungsgeschäfte (GLRGs). Bestand das Ziel der GLRGs ursprünglich darin, den geldpolitischen Transmissionsprozess zu verbessern, so wurde es durch weitere Rekalibrierungen schrittweise ausgeweitet. Nach den Regeln, die wir im März dieses Jahres festgelegt haben, können sich Banken, die ihre Benchmarks für die Kreditvergabe erfüllen, nachträglich Geld zu negativen Zinssätzen von der EZB leihen. So werden die Effekte unserer konventionellen Maßnahmen auf direkterem Weg an die Wirtschaft weitergegeben.

Geldpolitik und wirtschaftliche Erholung

In den zwei Jahren nach der Einführung unseres Maßnahmenpakets zeigte sich, welche Auswirkungen die Maßnahmen in der Praxis hatten.

Ereignisstudien der EZB zufolge hatten unsere Maßnahmen große Auswirkungen auf langfristige Staatsanleihen. Übertragungseffekte waren auch bei den Renditen anderer Vermögenswerte festzustellen, vor allem bei Anleihen finanzieller und nichtfinanzieller Unternehmen im Euroraum.[5] Darüber hinaus ergab unsere Analyse, dass unser Maßnahmenpaket nicht nur erhebliche direkte Auswirkungen auf die Zinsen für Bankkredite hatte, sondern durch seinen starken Einfluss auf die Renditen langfristiger Staatsanleihen auch die Kreditbedingungen in erheblichem Maße indirekt beeinflusste.[6]

Die verbesserten Finanzierungsbedingungen bewirkten wiederum eine Zunahme des Wachstums und einen Anstieg der Inflation. Simulationen für das Eurosystem zeigen, dass die Inflation ohne unsere Maßnahmen seit 2015 negativ wäre. In diesem Jahr würde sie mindestens einen halben Prozentpunkt, im Jahr 2017 etwa einen halben Prozentpunkt unter unseren aktuellen Prognosen liegen. Und da unsere Maßnahmen dazu beigetragen haben, dass die Produktion im Zeitraum von 2015 bis 2018 um rund 1,5 % zunahm, dürften sie sich auch spürbar auf das BIP im Euroraum auswirken.[7]

Aktuelle Daten belegen, dass sich diese positiven Effekte gerade erst verstärken, da unsere Maßnahmen dabei sind, auf die Wirtschaft durchzuschlagen. Im Euroraum hält die von der Binnennachfrage getragene Erholung an. Bei Betrachtung derjenigen Ausgabenkomponenten, die besonders empfindlich auf die Finanzierungsbedingungen reagieren – also Konsum von Gebrauchsgütern und Investitionen – zeigt sich, dass unsere Maßnahmen diese Erholung begünstigen.

Der Konsum von Gebrauchsgütern im Euroraum erzielte letztes Jahr das stärkste Wachstum seit Ende 2006, nachdem er zuvor mehrere Jahre lang rückläufig gewesen war. Auch der Beitrag der Anlageinvestitionen zum Produktionswachstum, der seit Beginn der Erholung im Jahr 2013 außerordentlich gering gewesen war, erhöhte sich schrittweise. Die aktuellste uns vorliegende Gesamtaufschlüsselung zeigt, dass die Investitionen den Konsum im vierten Quartal 2015 als Haupttriebfeder des Wachstums ablösten.

Die Erholung trotzte auch dem Rückgang der Auslandsnachfrage, der mit der starken Abschwächung des Welthandels zusammenhing. Nur zweimal verzeichnete der Welthandel in den vergangenen 20 Jahren ein geringeres Wachstum als 2015: nach der Dotcom-Blase Anfang der 2000er-Jahre und im Jahr 2009 nach dem Zusammenbruch von Lehman Brothers. In beiden Fällen fiel das Wachstum im Euroraum deutlich auf einen Wert nahe oder unter null. Im Jahr 2015 hatte der Handelseinbruch dagegen keinen Konjunkturrückgang im Eurogebiet zur Folge. Trotz des weltweiten Importrückgangs zog das Wachstum im gesamten Jahresverlauf 2015 im Vergleich zum Vorjahr sogar an.

Zurückzuführen war das unter anderem auf die zunehmende Widerstandsfähigkeit der Binnenwirtschaft. Aber auch die Exportunternehmen im Euroraum konnten nach langen Verlustphasen Marktanteile zurückgewinnen. Die Geldpolitik spielte auch bei dieser atypischen Widerstandsfähigkeit der Ausfuhren des Eurogebiets eine zentrale Rolle.

Vor allem gingen diese positiven Auswirkungen unserer Maßnahmen nicht mit starken Verzerrungen einher, die die Kosten-Nutzen-Analyse allmählich zum Kippen bringen könnten, indem sie beispielsweise die Rentabilität der Banken über Gebühr beeinträchtigen und so den wichtigsten Transmissionskanal für unsere Geldpolitik schädigen. Dies liegt zum Teil an der bereits erwähnten Ausgestaltung unserer Instrumente. Der beste Weg, um sicherzustellen, dass das so bleibt, ist aber ganz klar eine baldige Rückkehr zu unserem Ziel.

Der frühere Vorsitzende der Federal Reserve, Paul Volcker, bemerkte 1980 nach einer kräftigen Zinsanhebung so treffend: Diese Finanzinstitute machen mir Sorgen; das Schlimmste, was ihnen passieren kann, ist, dass wir unsere Arbeit nicht machen und es nicht recht bald zu einer Zinswende kommt. Diese erreicht man aber nicht durch vorschnelle Maßnahmen.[8]

Wir teilen diese Ansicht, und wie der EZB-Rat heute betont hat, wird die Dynamik der Konjunkturerholung im Euroraum weiterhin durch unsere Geldpolitik gestützt. Dies begünstigt die Rückkehr der Inflation auf ein Niveau nahe 2 %.

Wir befinden uns auf dem richtigen Weg, aber wir sind uns auch bewusst, dass nichts selbstverständlich ist. Der EZB-Rat wird die Entwicklung der Aussichten für die Preisstabilität genau beobachten und wie bisher alle im Rahmen seines Mandats verfügbaren Instrumente nutzen, falls dies zur Erreichung seines Ziels erforderlich ist.

  1. [1]Siehe Evaluation of the ECB’s monetary policy strategy.

  2. [2]G. Coenen (2003), Zero lower bound: is it a problem in the euro area?, Working Paper Series der EZB, Nr. 269, September 2003.

  3. [3]Siehe Evaluation of the ECB’s monetary policy strategy.

  4. [4]Siehe M. Draghi (2016) „Bekämpfung der Ursachen niedriger Zinsen“, Eröffnungsrede anlässlich einer Paneldiskussion zum Thema „The future of financial markets: A changing view of Asia“ bei der Jahrestagung der Asiatischen Entwicklungsbank, Frankfurt am Main, 2. Mai 2016.

  5. [5]Für weitere Informationen zu den Schätzungsmethoden siehe EZB (2015), Die Transmission der jüngsten geldpolitischen Sondermaßnahmen, Wirtschaftsbericht, Ausgabe 7/2015.

  6. [6]C. Altavilla, G. Carboni und R. Motto (2015), Asset purchase programmes and financial markets: lessons from the euro area, Working Paper der EZB, Nr. 1864.

  7. [7]Für Informationen zum methodischen Ansatz dieser Analyse siehe P. Praet (2016), The ECB’s monetary policy response to disinflationary pressures, Rede auf der vom Center for Financial Studies organisierten Konferenz „ECB and Its Watchers XVII“, Frankfurt am Main, 7. April 2016.

  8. [8]Siehe Niederschrift der Sitzung des Offenmarktausschusses der Federal Reserve vom 18. März 1980.

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