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Die Bankenunion – eine europäische Perspektive: Gründe, Chancen und Herausforderungen

Rede von Yves Mersch, Mitglied des Direktoriums der EZB,
im Rahmen des Kolloquiums „Auf dem Weg zu mehr Stabilität – Ein Dialog über die Ausgestaltung der Bankenunion zwischen Wissenschaft und Praxis“,
Berlin, 5. April 2013

Meine sehr verehrten Damen und Herren,

in meinen heutigen Ausführungen möchte ich mich insbesondere auf drei Gründe konzentrieren, die für eine europäische Bankenunion sprechen: Erstens kann durch sie der Teufelskreis zwischen Banken sowie staatlichen Schuldnern gekappt und die Reintegration der Finanzmärkte gefördert werden. Zweitens kann durch sie nationale Befangenheit in der Bankenaufsicht vermieden werden. Drittens trägt sie dazu bei, die Blockade im Transmissionsmechanismus der Geldpolitik zu lösen.

Die aktuelle Krise hat uns deutlich vor Augen geführt, wie wichtig es ist zu verhindern, dass einerseits – wie im Fall Griechenlands – Probleme des Staats auf die Banken übergreifen; andererseits sollte es aber auch nicht dazu kommen, dass Bankenprobleme auf den Staat übertragen werden, was beispielsweise in Irland und Zypern zu beobachten war. Ergreifen nationale Regierungen Maßnahmen zur Rettung von Banken oder werden diese erwartet, so steigen die Kreditkosten des betreffenden Staats, und die Refinanzierungskosten der Banken erhöhen sich noch mehr. Diese negative Rückkoppelung arbeitet gegen nationale Bemühungen zur Wiedererlangung tragfähiger öffentlicher Finanzen.

Des Weiteren hat wachsender Druck an den Refinanzierungs- und Kreditmärkten zu einer Fragmentierung des Bankensystems im Euroraum geführt. Die Refinanzierungskosten der Banken und die hiermit korrelierenden Kreditkosten in den entsprechenden Staaten sind gestiegen, insbesondere in den Peripherieländern. Staaten, die das Vertrauen der Märkte verlieren, sind immer mehr auf einheimische Finanzierungsquellen angewiesen. Sie verzeichnen häufiger Kapitalabflüsse und sprechen schlechter auf Zentralbankmaßnahmen an. Die unterschiedlichen Refinanzierungsbedingungen der Banken in den einzelnen Ländern haben auch unterschiedliche Kreditbedingungen zur Folge. In den Peripheriestaaten sind die Vergabebedingungen für Kredite an private Haushalte und Unternehmen strikter geworden, als sie angesichts des aktuellen geldpolitischen Kurses sein sollten. Dies führt zu einer ineffizienten Allokation der Geldmittel innerhalb des Eurogebiets und wirkt sich somit negativ auf Wachstum und Beschäftigung aus.

Die Schaffung einer Bankenunion würde dazu beitragen, diese negativen Rückkopplungen zwischen Staaten und Banken zu durchbrechen.

Eine gemeinsame Aufsichtsbehörde, deren Perspektive europäisch ist, könnte das Vertrauen von Sparern und Anlegern wiederherstellen. Einer zentralen Aufsichtsbehörde wird man nicht unterstellen, dass sie zulässt, dass die Banken einiger Länder Risikoaktiva verstecken können. Und eine europäische Aufsichtsbehörde würde auch nicht darauf bestehen, dass Aktiva und Passiva sich hinsichtlich „ihrer Herkunft“ auf nationaler Ebene entsprechen, was die Fragmentierung verstärkt.

Ein einheitlicher Abwicklungsmechanismus – die notwendige Ergänzung des einheitlichen Aufsichtsmechanismus – würde verhindern, dass es durch nationale Bail-outs zu steigenden Finanzierungskosten kommt, weil dann relativ mehr Banken abgewickelt als gerettet würden. Somit müsste verstärkt der private Sektor und weniger der Steuerzahler für die Kosten aufkommen. Jegliche noch verbleibende Haushaltsbelastungen der Staaten würden durch einen föderalen finanziellen Sicherungsmechanismus abgefedert.

Die Verlagerung der Aufsicht von der nationalen auf die europäische Ebene, auf der es um supranationale Interessen geht, dürfte auch der Verfolgung nationaler Interessen sowie der hiermit zusammenhängenden aufsichtlichen Nachsicht ein Ende setzen – beide Mängel traten durch die Finanzkrise zutage. Heute wissen wir, dass Aufsichtsbehörden in der Vergangenheit bei sogenannten „nationalen Champions“ oft Nachsicht walten ließen, weil sie entweder durch ihr eigenes Mandat, durch Druck aus dem eigenen Land oder beide Faktoren in ihrer Arbeit eingeschränkt waren. Aufsichtsbehörden müssen aber frei von Druck und Interessen auf Länderebene sein: Sie sollten in der Lage sein, die Situation einzelner Banken unabhängig zu beurteilen und diese im Kontext des Finanzsystems zu sehen.

Was den Bereich der Geldpolitik betrifft, so kann die Bankenunion der Zentralbank einige Aufgaben abnehmen, welche Letztere während der Krise übernommen hatte, um die Störungen im geldpolitischen Transmissionskanal zu beheben. Ein frühzeitiges Eingreifen der Aufsichtsbehörde beschränkt die Notwendigkeit der Inanspruchnahme von Zentralbankliquidität (und somit auch der geldpolitischen Sondermaßnahmen).

Warum sollte die EZB mit dem SSM betraut werden und welche Vorteile hätte dies?

Alle eben angeführten Schwierigkeiten trugen zur Schaffung des einheitlichen Aufsichtsmechanismus (Single Supervisory Mechanism – SSM) bei. Nun möchte ich kurz darauf eingehen, weshalb die EZB mit diesen zentralisierten Aufsichtstätigkeiten betraut wird.

Erstens gibt es hierfür rechtliche Gründe. Aufgrund der Dringlichkeit der Einrichtung des SSM kam eine Änderung des Vertrags, die mehrere Jahre gedauert hätte, nicht infrage. Gemäß Artikel 127 Absatz 6 kann der Rat einstimmig „… besondere Aufgaben im Zusammenhang mit der Aufsicht über Kreditinstitute […] der Europäischen Zentralbank übertragen.“ Für die Zukunft sollte eine Vertragsänderung allerdings nicht ausgeschlossen werden.

Zweitens gab es praktische Gründe für diese Entscheidung. Durch ihre langjährige Arbeit in diesem Bereich verfügen die Mitarbeiter der EZB über einen einzigartigen Erfahrungsschatz hinsichtlich der Analyse von Finanzinstituten und Finanzmärkten. Mit anderen Worten bedeutet dies, dass die EZB gemeinsam mit den nationalen Instanzen – in den meisten Fällen sind dies die nationalen Zentralbanken – über die erforderlichen Mittel und auch technischen Voraussetzungen verfügt, um diese komplexe Aufgabe zu erfüllen. Außerdem haben die meisten nationalen Zentralbanken bereits Aufsichtskompetenzen.

Grundprinzipien der Umsetzung des SSM

Nun möchte ich die Funktionsweise des einheitlichen Aufsichtsmechanismus erläutern.

Maßgeblich für den Erfolg des SSM ist, dass er eine durch und durch europäische Sichtweise gewährleistet. Es stimmt nicht, dass von der Politik protegierte Banken oder Bankenstrukturen oder aber sogenannte „nationale Champions“ im Interesse der jeweiligen Steuerzahler waren. Die Beseitigung jeglicher nationaler Verzerrungen ist von zentraler Bedeutung.

Die Umsetzung der europäischen Dimension hängt von mehreren Faktoren ab. Der erste ist eine angemessene Einbindung der beteiligten Länder. Mit Einrichtung des SSM fallen alle Banken im Euroraum und die Kreditinstitute in jenen Mitgliedstaaten, die eine enge Zusammenarbeit mit der EZB vereinbart haben, unter die Aufsicht der EZB. Dies schafft gleiche Wettbewerbsbedingungen.

Nur die relevantesten Banken werden direkt von der EZB beaufsichtigt werden; weniger relevante Banken hingegen bleiben zwar weiterhin unter nationaler Aufsicht, doch auch sie fallen letztlich unter die aufsichtlichen Kompetenzen der EZB:

  1. Die nationalen Behörden müssen die Verordnungen, Leitlinien und allgemeinen Weisungen der EZB befolgen und unterstehen der allgemeinen Aufsichtsfunktion der EZB hinsichtlich der Funktionsfähigkeit des SSM.

  2. Zur Gewährleistung einer konsistenten Anwendung aufsichtlicher Standards kann die EZB jederzeit beschließen, die direkte Aufsicht über weniger bedeutende Kreditinstitute zu übernehmen.

  3. Die Möglichkeit, dass sich auch EU-Mitgliedstaaten außerhalb des Eurogebiets dem SSM anschließen können, betont die EU-weite Dimension dieses Mechanismus. Dies bedeutet auch, dass sie sich an die von der EZB erlassenen Leitlinien und Weisungen halten müssen.

Der SSM soll aus einem starken Zentrum und einer unterstützenden „Peripherie“ bestehen, und es soll eine angemessene Aufgabenteilung zwischen diesen beiden Komponenten stattfinden.

Die Verantwortung und Entscheidungsbefugnis für das Funktionieren des Systems wird bei der EZB liegen. Für den effizienten Betrieb hingegen wird man auf die Expertise der zuständigen Behörden auf nationaler Ebene angewiesen sein. Deren Fachwissen und Nähe zu den beaufsichtigten Instituten sind wesentlich, um sicherzugehen, dass kein Aspekt übersehen wird. Sogar bei direkt vom Zentrum, das heißt von der EZB, beaufsichtigten Banken werden Experten der nationalen Behörden an Vor-Ort-Prüfungen beteiligt sein. Diese und andere Tätigkeiten sollten durch gemeinsame Aufsichtsteams unter der Federführung von Experten der EZB durchgeführt werden.

Die Übertragung von Aufsichtsaufgaben auf die Zentralbank spiegelt den in vielen Ländern vorherrschenden Konsens wider. Die Krise hat den Trend verstärkt, dass Zentralbanken aufsichtliche Aufgaben übernehmen, wodurch Synergieeffekte zwischen Geldpolitik und Aufsicht ausgeschöpft werden können. Zu diesen gehören zunächst mögliche Vorteile, die sich aus dem Austausch von Informationen zu den Bereichen Geldpolitik, Bankenaufsicht und Überwachung von Zahlungsverkehrssystemen ergeben. Zweitens verfügen Zentralbanken über Erfahrung in der Analyse der Finanzstabilität. Drittens kann die institutionelle Unabhängigkeit der Zentralbanken, die mit klar definierten Regeln der Rechenschaftspflicht verbunden ist, einen positiven Beitrag dazu leisten, dass Maßnahmen zur Förderung von Finanzstabilität wirksam durchgeführt werden. Die Vorzüge einer unabhängigen Aufsichtsinstanz werden von internationalen Institutionen und Foren wie dem Internationalen Währungsfonds oder dem Basler Ausschuss für Bankenaufsicht in dessen Grundsätzen für eine wirksame Bankenaufsicht klar zum Ausdruck gebracht.

Zwar wird die Durchführung der Aufsichtsfunktionen für die EZB eine neue Aufgabe darstellen, doch verfügt sie bereits heute über einen reichen Erfahrungsschatz in Bezug auf Makroökonomie und Finanzstabilität. Wenn potenzielle Interessenkonflikte vermieden werden, die sich aus der Ausübung der beiden Aufgaben – Durchführung von Geldpolitik und Aufsicht – durch eine Institution ergeben könnten, kann man die offensichtlichen Vorzüge der Ansiedlung beider Aufgaben in einer Institution ausschöpfen.

Dank dem vorhandenen analytischen Know-how kann gewährleistet werden, dass qualitativ hochwertige Daten in den aufsichtlichen Entscheidungsprozess einfließen. Dies wird zu einer Steigerung des Wirkungsgrads des SSM beitragen. Eine wirkungsvolle Aufsicht gibt es allerdings nicht umsonst, die dafür anfallenden Kosten werden die Banken tragen müssen. Außerdem bringt die Vermeidung von Doppelarbeit in Bezug auf Dienstleistungen, die für beide Aufgaben erbracht werden, eine Effizienzsteigerung mit sich. Die Kosten für den Finanzsektor werden sich in Grenzen halten.

Obwohl die potenziellen Synergieeffekte durchaus gesehen werden, vermuten manche, dass aus der Kombination von Zentralbank und Aufsicht Interessenkonflikte erwachsen könnten. Zwar stehen in den meisten Fällen geldpolitische und die Finanzstabilität unterstützende Maßnahmen nicht im Widerspruch zueinander, dennoch müssen wir diese Bedenken ernst nehmen, um unsere Glaubwürdigkeit zu wahren. Insbesondere wurde vor folgenden Risiken gewarnt: a) vor dem Risiko aufsichtlicher Nachsicht, die sich aus der Funktion der Zentralbank als Quelle von Liquidität ergibt, und b) vor dem Reputationsrisiko, das sich aus dem Konfliktpotenzial der beiden Tätigkeitsfelder der EZB ergeben könnte. Besondere Vorsicht ist hinsichtlich c) rechtlicher Risiken geboten; auf diese werde ich später noch näher eingehen.

Was die institutionelle Dimension betrifft, so sieht die SSM-Verordnung zur Vermeidung von Interessenkonflikten und als Sicherheitsvorkehrung die Trennung der beiden Funktionen vor – Verantwortung für die Geldpolitik einerseits und Durchführung der Aufsicht andererseits. Dies kommt in der bedeutenden Rolle zum Ausdruck, die der Aufsichtsrat des SSM gegenüber dem EZB-Rat einnimmt. Des Weiteren werden die Diskussionen des EZB-Rats zu aufsichtlichen Themen strikt getrennt von seinen übrigen Tätigkeiten erfolgen; so werden separate Tagesordnungen ausgearbeitet und gesonderte Sitzungen abgehalten. Durch den für Aufsichtsfragen vorgesehenen Entscheidungsprozess dürften die Risiken minimiert werden, dass es zu einer zu nachsichtigen Ausübung der Aufsichtsfunktionen kommt: die eigentliche aufsichtliche Entscheidungsbefugnis liegt beim Aufsichtsrat. Dennoch ist dem EZB-Rat vorbehalten, diese Entscheidungen abzulehnen.

Durch die Zusammenführung von Aufsicht- und Zentralbankfunktion in einer Institution lassen sich zudem Reputationsrisiken abfedern. Mitunter sind Fehler bei der Ausübung der aufsichtlichen Aufgaben unvermeidlich, beispielsweise wenn die Aufsichtsbehörde mit betrügerischem Verhalten konfrontiert ist. Im Hinblick auf Reputationsrisiken ist daher die erwähnte angemessene Trennung der beiden Funktionen von besonderer Bedeutung. So ist es beispielsweise wesentlich, der internen Trennung zwischen Aufsichts- und geldpolitischen Funktionen auch eine externe Dimension zu geben. Für Externe muss klar erkennbar sein, dass sowohl in Bezug auf Tätigkeiten als auch auf die Rechenschaft eine klare Trennung zwischen den beiden Funktionen besteht.

Bei einer entsprechenden institutionellen und organisatorischen Ausgestaltung lassen sich diese Risiken erfolgreich eindämmen. Angesichts der rechtlichen Risiken, die sich aus dem vorliegenden Verordnungsentwurf ergeben könnten, ist allerdings größere Vorsicht geboten.

Hierzu möchte ich einige Beispiele anführen: die Europäische Kommission, der Rat der Europäischen Union und das Europäische Parlament haben sich darauf verständigt, dass die Ernennung des stellvertretenden Vorsitzenden des Aufsichtsrats sowohl der Zustimmung des Europäischen Parlaments als auch eines Durchführungsbeschlusses des Rates bedarf. Der Vorsitzende des Aufsichtsrats muss nicht zwingend einer unabhängigen Einrichtung der Union angehören. Der Entwurf einer SSM-Verordnung sieht jedoch vor, dass der EZB-Rat den stellvertretenden Vorsitzenden aus dem Kreis der Mitglieder des Direktoriums der EZB auszuwählen hat. Dasselbe gilt für die Abberufungsverfahren des Vorsitzenden und des stellvertretenden Vorsitzenden des Aufsichtsrats.

Mit dieser Bestimmung werden die Grenzen der satzungsgemäßen Unabhängigkeit der EZB, des Direktoriums und seiner Mitglieder möglicherweise überschritten. Sie könnte also rechtlich angefochten werden und würde dann im Fall eines Prozesses ein Reputationsrisiko für den SSM darstellen.

Das geplante De-facto-Vetorecht des Europäischen Parlaments in Bezug auf Nominierungsvorschläge für EZB-Direktoriumsmitglieder erscheint unangemessen. Ausschlaggebend für das Veto könnte nämlich Folgendes sein:

  1. Wie sich die betreffende Person bis zum fraglichen Zeitpunkt in Bezug auf geldpolitische und andere grundlegende EZB-Aufgaben verhalten hat; dies wäre gleichbedeutend mit einer politischen Einflussnahme auf Aufgaben, die allein in den Zuständigkeitsbereich der EZB fallen und unabhängig erfüllt werden müssen.

  2. Die voraussichtliche Meinung der betreffenden Person zu aufsichtlichen Maßnahmen; diese würde Rückschlüsse darauf zulassen, welchen Ermessensspielraum er oder sie bei seinen/ihren aufsichtlichen Tätigkeiten vor dem Grundsatz der operationellen Unabhängigkeit der Aufsichtsinstanz nutzen dürfte.

  3. Jeglicher Grund für eine Diskriminierung, wie sie laut Vertrag (Artikel 2 AEUV, Artikel 21 der EU-Grundrechtecharta) untersagt ist.

Zudem besteht bereits ein institutionelles Gleichgewicht beim Ernennungsverfahren für Direktoriumsmitglieder, bei dem das Parlament sich zu den nominierten Kandidaten äußern kann. Durch das neue Vetorecht könnte dieses Gleichgewicht zerstört werden. Skurrilerweise gibt das Europäische Parlament in Bezug auf die primären Aufgaben der EZB lediglich eine Stellungnahme ab, während es für seine sekundären Aufgaben ein Vetorecht erhält. Und zwar das Recht, Veto gegen eine Person einzulegen, die sich vor der Ernennung zum Direktoriumsmitglied (und somit auch zum Mitglied des EZB-Rats) bereits den Fragen des Parlaments gestellt hat und die vom EZB-Rat dann für eine weitere Aufgabe innerhalb der EZB nominiert wird.

Wenn das Europäische Parlament den vom EZB-Rat für den Aufsichtsrat nominierten Kandidaten, also ein Mitglied des EZB-Direktoriums, ablehnt oder gar ein Abberufungsverfahren aus dem Aufsichtsrat anstößt, würde dies de facto dem Ansehen der betreffenden Person innerhalb der Beschlussorgane der EZB schaden. Dadurch würden potenzielle Konflikte zwischen EZB und Parlament institutionalisiert. Dies könnte zu einer politischen Einflussnahme auf die EZB führen, was im Widerspruch zur Zentralbankunabhängigkeit stünde, wie sie im Vertrag von Maastricht verankert ist. Außerdem würde dies den Ruf und die Glaubwürdigkeit des betroffenen Direktoriumsmitglieds sowie des gesamten Direktoriums beeinträchtigen.

Ein externes Vetorecht würde die Fähigkeit des Direktoriums einschränken, seine interne Aufgabenverteilung selbständig zu organisieren. Es würde also eine ernsthafte Gefahr für die unabhängige Arbeit des Direktoriums darstellen. Artikel 130 AEUV und Artikel 7 der ESZB-Satzung verpflichten die Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen der EU, „ … nicht zu versuchen, die Mitglieder der Beschlussorgane der Europäischen Zentralbank […] zu beeinflussen.“ Das Vetorecht könnte außerdem – intern wie extern – zu einem verstärkten Konkurrenzdruck zwischen den Direktoriumsmitgliedern führen, was sich auf ihre Kollegialität auswirken würde.

Ergänzung des SSM durch den einheitlichen Abwicklungsmechanismus

Damit der SSM effektiv funktionieren kann, muss er durch einen einheitlichen Abwicklungsmechanismus (Single Resolution Mechanism – SRM) ergänzt werden. Dieser wird mit der Abwicklung nicht überlebensfähiger Banken betraut. Es ist von entscheidender Bedeutung, dass es einen SRM-Rahmen gibt, sobald der SSM betriebsbereit ist. Ist dies nicht der Fall, so besteht das Risiko, dass in Erwartung der Bereitstellung von Liquidität durch die Zentralbank aufsichtliche Nachsicht herrscht. Es wäre falsch, zu denken, dass sich das Problem der in Schieflage geratenen Banken von selbst löst, sobald der SSM in Kraft getreten ist und die aufsichtliche Zuständigkeit auf die EZB übertragen wurde. Daher muss ein Abwicklungsmechanismus geschaffen werden, um sicherzustellen, dass nicht überlebensfähige Banken geschlossen und abgewickelt werden.

Wie bei der Aufsicht ist auch bei der Abwicklung eine europäische Perspektive äußerst wichtig. Dadurch sollte gewährleistet sein, dass die Entscheidungsfindung rechtzeitig und neutral – also ohne Einflussnahme aufgrund nationaler Überlegungen – erfolgen kann. Durch das institutionelle Mandat des SRM sollte gewährleistet sein, dass Banken nicht auf Kosten der Steuerzahler am Leben gehalten werden. Die Zeiten der Privatisierung von Gewinnen und der Sozialisierung von Verlusten sollten vorbei sein. In einer freien Marktwirtschaft können Institute nicht vor einem Marktaustritt bewahrt werden. Zur Vermeidung unerwünschter Konsequenzen müssen derartige Marktaustritte jedoch geordnet und frei von nationaler Einflussnahme ablaufen.

Die Errichtung des SRM hängt von der schnellen Verabschiedung der Richtlinie für die Sanierung und Abwicklung von Kreditinstituten ab, die eine Reihe harmonisierter Abwicklungsbefugnisse vorsieht. Dadurch könnte der SRM sich auf die in der eben genannten Richtlinie enthaltenen Abwicklungsinstrumente stützen. Somit läge ein robuster Rahmen für schnelle und koordinierte Abwicklungsmaßnahmen vor, insbesondere für Fälle, in denen grenzüberschreitend tätige Banken involviert sind.

Die Festlegung des Rahmens für den SRM steht noch aus; voraussichtlich wird die Kommission im weiteren Verlauf des Jahres einen entsprechenden Vorschlag unterbreiten. Ich möchte nun darlegen, wie die Hauptmerkmale des künftigen SRM ausgestaltet sein sollten.

Dieser Mechanismus sollte zwecks Vermeidung potenzieller Zielkonflikte auf keinen Fall bei der EZB angesiedelt werden. Im Hinblick auf den institutionellen wie auch geografischen Anwendungsbereich sollte er aber dem SSM ähneln. Die letztliche Verantwortung des SRM läge in den Händen einer einheitlichen Abwicklungsbehörde, welche mit der Abwicklung von Banken und der Koordination der Anwendung von Abwicklungsinstrumenten betraut wäre. Was den Geltungsbereich anbelangt, so wäre der SRM befugt und ermächtigt, prinzipiell alle in den Zuständigkeitsbereich des SSM fallenden Banken abzuwickeln.

Finanzierung ist einer der zentralen Aspekte der Abwicklung. Zwecks Glaubwürdigkeit sollte der neue Rahmen ausreichende finanzielle Ressourcen vorsehen. Ich meine damit nicht durch Steuergelder finanzierte Bail-outs, vielmehr geht es mir darum, die Nutzung öffentlicher Gelder zu minimieren. Zur Erreichung dieses Ziels sollten grundsätzlich die folgenden Mechanismen geschaffen werden. Schablonen gibt es dabei aber nicht. In jedem Fall sollte der gesamtwirtschaftlichen Situation und den Besonderheiten des jeweiligen Finanzsektors maßgeschneidert Rechnung getragen werden:

  1. Die Abschreibung von Kapitalinstrumenten und das Bail-in von Gläubigern sollte vollständig ausgeschöpft werden.

  2. Ein europäischer Abwicklungsfonds sollte eingerichtet werden, um im Bedarfsfall zusätzliche Mittel abrufen zu können. Finanziert werden sollte der Fonds durch vorab zu leistende risikobasierte Beiträge aller Banken, die in den Zuständigkeitsbereich des SRM fallen.

  3. Falls die Mittel des europäischen Abwicklungsfonds je nicht genügen sollten, sollten als allerletzte Möglichkeit Mittel aus einem Notfallmechanismus der EU angefordert werden können. Jegliche finanzielle Unterstützung des SRM sollte jedoch in Form eines Kredits an den europäischen Abwicklungsmechanismus erfolgen und wieder zurückgezahlt werden. Zu diesem Zweck sollte der europäische Abwicklungsmechanismus befugt sein, den in den Zuständigkeitsbereich des SRM fallenden Banken zusätzliche Abgaben aufzuerlegen. Dies dürfte gewährleisten, dass der Mechanismus mittelfristig fiskalisch neutral ist. Möglicherweise würden die Abwicklungsmaßnahmen vorübergehend den Einsatz öffentlicher Mittel erfordern, wenn der Abwicklungsfonds nicht über ausreichende Gelder verfügt, um z. B. eine Brückenbank zu kapitalisieren, die später an den privaten Sektor verkauft wird, wodurch das eingesetzte Kapital wieder zurückerhalten wird. Das Bestehen dieses finanziellen Sicherungsmechanismus kann als integraler Bestandteil einer vollständigen Bankenunion betrachtet werden, auch unter Berücksichtigung der Möglichkeit einer direkten Rekapitalisierung von Banken durch den ESM. Ein loses Netzwerk zur Koordinierung nationaler Finanzmittel würde den SSM schwächen. Sein Zuständigkeitsbereich muss weiter reichen als jener der EBA, welche die nationalen Aufsichtsbehörden koordiniert.

Der Zeitplan für die Umsetzung

In enger Zusammenarbeit mit den nationalen Aufsichtsbehörden hat die EZB ihre Arbeit an der Vorbereitung der Errichtung des SSM intensiviert. Gesteuert wird die Vorbereitung von einer hochrangig besetzten Gruppe, deren Vorsitz der Präsident der EZB innehat. Diese Gruppe erörtert die wichtigsten strategischen Leitlinien für die Vorbereitungsarbeiten. Auf technischer Ebene ist eine Arbeitsgruppe für Aufsicht mit den vorbereitenden Arbeiten betraut. In beiden Gruppen sind alle zuständigen nationalen Behörden vertreten. Außerdem wurde ein Projektteam ins Leben gerufen, dessen Mitglieder Führungskräfte aus den Bereichen Aufsicht und Finanzstabilität sind. Ziel dieses Teams aus Mitarbeitern von den nationalen Behörden und der EZB ist die Förderung der Kommunikation und der Zusammenarbeit innerhalb des Systems. Die technische Arbeit gliedert sich in fünf Bereiche. Schwerpunkte sind die Erstellung einer „Landkarte“ des Bankensystems des Euroraums, die Erörterung rechtlicher Fragen, die Entwicklung eines Aufsichtsmodells, die Koordinierung der umfassenden Bewertung von Kreditinstituten und die Vorbereitung einer künftigen Vorlage für die aufsichtliche Berichterstattung für den SSM.

Die formale Einsetzung des Aufsichtsrats wird kurz danach stattfinden und den Beginn einer etwa einjährigen Übergangsfrist bis zur Inbetriebnahme des SSM markieren. Während dieser Übergangszeit wird der Aufsichtsrat Vorschläge zu einer Reihe von Rechtsakten billigen und auch Entscheidungen bezüglich zentraler organisatorischer Angelegenheiten treffen. In Anbetracht der Tatsache, dass die Mehrheit dieser Prozesse formal erst nach Inkrafttreten der SSM-Verordnung in Gang gesetzt werden können, würde eine Verzögerung der Verabschiedung der Verordnung den rechtzeitigen Beginn der Aufnahme der Arbeiten seitens des SSM Mitte 2014 gefährden.

Schlussfolgerung

Lassen Sie mich nun zu den Schlussfolgerungen kommen. Die Schaffung des einheitlichen Aufsichtsmechanismus muss in einem größeren Zusammenhang gesehen werden. Der SSM ist ein zentrales Element der Europäischen Bankenunion, die wiederum Teil des Prozesses der weiteren Integration Europas ist. Auf dem Weg zu einer finanziellen und wirtschaftlichen Union in Europa sollten wir die Vorteile nutzen, die sich aus den jüngst erzielten institutionellen Reformen ergeben – auch für den Aufbau der Bankenunion –, und nicht die erreichte Dynamik ausbremsen. Infolgedessen werden die wirtschaftlichen Verflechtungen enger, daher werden letztlich institutionelle Anpassungen mit Blick auf die demokratische Rechenschaftspflicht vonnöten sein, um die Übertragung von Souveränitätsrechten zu prüfen. Dies betrifft das Europäische Parlament sowie die Kommission und wird Änderungen des Vertrags erforderlich machen. Das ist der Preis für eine gut funktionierende Währungsunion, in der sich die EZB auf Preisstabilität konzentriert und zugleich gewährleistet, dass die Finanzstabilität ihrem vorrangigen Ziel nicht im Wege steht.

Für die EZB und die auf Länderebene für die Aufsicht zuständigen Behörden, die bereits über sehr lange Erfahrung verfügen, wird der neue Aufsichtsmechanismus eine grundlegende Veränderung bedeuten. In vielerlei Hinsicht ist die Situation vergleichbar mit der Schaffung einer neuen Währung und einer neuen Zentralbank, wie wir sie zu Ende des 20. Jahrhunderts erlebten.

Die EZB ist sich dieser Tatsache durchaus bewusst und setzt daher einen Schwerpunkt auf die sorgfältige und effiziente Durchführung der Vorbereitungsarbeiten. Dabei stützt sie sich auf das sowohl innerhalb der EZB als auch extern vorhandene Fachwissen.

Da jedoch die vorläufige Vereinbarung, die vom Europäischen Parlament, der Kommission und dem Rat am 19. März erzielt wurde, auf Ersuchen hin erneut nachverhandelt wird, kann nicht ausgeschlossen werden, dass es zu Verzögerungen bei der endgültigen Verabschiedung der SSM-Verordnung kommt. Dies bedeutet, dass der planmäßige Beginn des Betriebs des SSM Mitte 2014 gefährdet ist und damit eine unsichere Rechtslage entsteht. Eine Politik des Zauderns würde jedoch falsche Signale aussenden. Sowohl der einheitliche Aufsichtsmechanismus als auch der einheitliche Abwicklungsmechanismus sind elementare Bausteine, um Europas Bankenlandschaft zu reintegrieren. Sie müssen daher zügig und entschlossen umgesetzt werden.

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