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Globalisierung der Post-Trade Infrastrukturen

Rede von Gertrude Tumpel-Gugerell, Mitglied des Direktoriums der EZB
Podiumsgespräch anlässlich der Tagung
Payment operations in Germany amid European and international developments,
Frankfurt am Main, 8. Juli 2009

Sehr geehrte Damen und Herren,

während des Mittelalters wurde in Frankfurt mit den unterschiedlichsten Münzsorten bezahlt da jedes Territorium des Heiligen Römischen Reiches eine eigene Währung besaß. Die unübersichtliche Fülle an Zahlungsmitteln erschwerte erheblich das Geldwesen in Frankfurt. Um dem zu begegnen, wurden im Jahre 1585 von mehreren Messekaufleuten einheitliche Wechselkurse festgelegt. Um die Kurse im Sortenverkehr zu aktualisieren trafen sich die Kaufleute von nun an regelmäßig. Dieses Ereignis gilt als Geburtsstunde der Frankfurter Wertpapierbörse.

Der Blick ins mittelalterliche Frankfurt ist ein eindrucksvolles Beispiel für Finanzmarktintegration und Globalisierung durch die Entstehung von Börsen auf der ganzen Welt.

Daher möchte ich mich herzlich für die Einladung bedanken, meine Ansichten zu dem Thema „Globalisierung der Post-Trade Infrastrukturen“ mit Ihnen zu teilen. Die derzeitigen Marktturbulenzen stellen eine große Herausforderung für die Integration der Finanzmärkte im allgemeinen und für die Harmonisierung der Marktinfrastrukturen im besonderen dar. Hat die Krise im Finanzsystem den Prozess der Integration der Finanzmärkte und der Harmonisierung der Marktinfrastrukturen nachhaltig betroffen? Maßnahmen zur Stabilisierung der Banken haben zum Teil zu einer Renationalisierung der Entscheidungsstrukturen geführt. Außerdem ist die Finanzierung von globalen Expansionsstrategien in Zeiten angespannter Ertragslage schwieriger geworden. Daher ist einerseits mit einer gewissen Verlangsamung der Globalisierungstendenzen zu rechnen, nicht jedoch mit einer Rückkehr zu alten Strukturen. Andererseits könnte der Ertragsdruck noch mehr Konsolidierung erfordern.

Wir sollten gerade zum jetzigen Zeitpunkt die langfristigen Vorteile und stabilisierenden Effekte von integrierten Finanzmärkten nicht aus den Augen verlieren.

Integrierte Finanzmärkte führen zu einer besseren Risikoverteilung und bringen Innovation und Effizienzgewinne.

Die Grundlage für eine effektive und erfolgreiche Integration sind zuverlässige und sichere Infrastrukturen. In diesem Sinne erscheint es mir wichtig, die Vorteile - aber natürlich auch die Herausforderungen - von integrierten, über nationale Grenzen hinwegreichenden Infrastrukturen herauszustellen.

Infrastrukturen sind weit mehr als rein technische Kanäle, um Bankgeschäfte abzuwickeln. Gut funktionierende Infrastrukturen, die auf die Bedürfnisse der Märkte abgestimmt sind, tragen zu höherer Markteffizienz und Marktintegration bei und erhöhen darüber hinaus die Finanzmarktstabilität. Funktionierende Marktinfrastrukturen sind essentiell im Hinblick auf eine effektive Implementierung der Geldpolitik und daher für die Notenbanken unerlässlich.

Bevor ich eingehender auf Globalisierungsaspekte zu sprechen komme, lassen Sie mich den europäischen Kontext näher beleuchten, und hierbei insbesondere die Infrastruktur für den Bereich der Wertpapierabwicklung.

Im Rahmen des TARGET2 Securities Projekts, kurz T2S, ist das Eurosystem zum einen bestrebt, die Effizienz und die Sicherheit in der europäischen Wertpapierabwicklung nachhaltig zu verbessern. Zum anderen sind wir damit Mitgestalter eines der derzeit wohl wichtigsten Harmonisierungsinitiativen im post-trading Bereich. Die Implementierung von T2S wird eine Harmonisierung und Vereinheitlichung der Wertpapierabwicklung in Europa darstellen. Wie Sie wissen, erfolgt die Wertpapierabwicklung in Europa im nationalen Kontext weitgehend sehr effizient. Die grenzüberschreitende Wertpapierabwicklung, allerdings, ist aufgrund der nationalen Fragmentierung mit sehr hohen Kosten und Ineffizienzen verbunden. T2S wird diese Fragmentierung überwinden und eine hocheffiziente, europaweite Abwicklung von Wertpapiertransaktionen in Zentralbankgeld ermöglichen bei der grenzüberschreitende Transaktionen zu den gleichen, niedrigen Kosten abgewickelt werden wie inländische Aufträge. In T2S erfolgt dies auf einer einheitlichen Plattform unter einheitlichen, harmonisierten Regeln und Verfahren. Kreditinstitute werden die Möglichkeit haben ihre Wertpapiere in einem Pool, der bei einem Wertpapierabwickler gehalten wird, zu bündeln. Die so gebündelten Wertpapiere können europaweit in jedem Markt, der an T2S angebunden ist, rasch, sicher, einheitlich und grenzüberschreitend eingesetzt werden.

Die wesentlichsten Vorteile, die T2S den Märkten damit bringen wird sind evident: Erstens werden grenzüberschreitende Transaktionen genauso preisgünstig abgewickelt wie lokale Transaktionen. Zweitens wird T2S die Besicherungs- und Liquiditätserfordernisse der Marktteilnehmer deutlich reduzieren. Drittens wird T2S die Wertpapierabwicklung harmonisieren und damit Europa zu einem wirklich einheitlichen Markt machen. Viertens wird T2S den Wettbewerb im post-trading Sektor erhöhen. Und fünftens soll T2S aufgrund seiner operationellen Robustheit und seiner geringeren Liquiditätserfordernisse auch die Finanzmarktstabilität stärken.

Abgesehen von den Vorteilen für die Marktteilnehmer wird T2S die gegenwärtige Fragmentierung der Märkte in Europa beseitigen und damit einen wesentlichen Beitrag zur Agenda von Lissabon zur Vollendung des europäischen Binnenmarktes leisten. Daher hat T2S nicht nur die Unterstützung der Marktteilnehmer sondern auch der politischen Instanzen.

Ich möchte betonen, dass wir auf einem guten Weg sind, T2S zeitgerecht einzuführen. Mit der vollen Unterstützung aller Marktteilnehmer werden wir dieses ambitionierte Ziel auch erreichen.

T2S könnte als ein Schritt der “Europäisierung“ der post-trading Infrastrukturen innerhalb der EU bezeichnet werden. T2S bedeutet die Harmonisierung von Infrastrukturen in einem ökonomischen Raum, der eine Vielzahl von Staaten umfasst, die zwar im Rahmen des Binnenmarktes zusammengeschlossen sind, aber dennoch kein einheitliches Staatengebilde darstellen. Dies lässt die berechtigte Frage zu, ob man nicht noch einen Schritt weiter gehen sollte und Integrationsvorteile global suchen sollte. In anderen Worten: würde es Vorteile bringen und wäre es erstrebenswert, die Zahlungs- und Wertpapierabwicklung in globalen Märkten im Rahmen von globalen Abwicklungssystemen vorzunehmen?

Verschiedene Bereiche des Finanzmarktes weisen im Hinblick auf die Struktur der Marktteilnehmer sowie auf die Handelsaktivitäten und die Währungszusammensetzung unterschiedliche Globalisierungsgrade auf. Was bedeutet es aber für Marktinfrastrukturen, wenn Märkte einen hohen Globalisierungsgrad erreicht haben? Generell - auch auf globalisierten Märkten - sollte die rechtliche und operationale Verankerung der Infrastruktur im Einklang mit dem Regulierungsrahmen für die betroffenen Märkte stehen. Hierzu zählt insbesondere die laufende Markt- und Institutsaufsicht, die Überwachung der Infrastruktur selbst sowie die Arrangements für eine mögliche Unterstützung von Marktteilnehmern durch den öffentlichen Sektor in Krisensituationen. Diese Regeln werden nach wie vor von souveränen Staaten mit demokratischer Legitimierung aufgestellt. Daher ist die Bildung von supranationalen Aufsichtssystemen nicht unstrittig wie die jüngste Debatte zum Thema europäische Aufsicht zeigt.

Global agierende Marktteilnehmer wünschen sich globale Infrastrukturen, aber der öffentliche Sektor agiert primär auf nationaler und nicht auf globaler Ebene. Trotz aller in den vergangenen Jahren erzielten Fortschritte bei der Kooperation auch auf internationaler Ebene basiert das politische System nach wie vor auf souveränen Staaten, welche durch nationale demokratische Prozesse legitimiert und rechenschaftspflichtig sind.

Vor diesem Hintergrund stehen globale Infrastrukturen, die verschiedene Währungszonen überspannen, einem Koordinierungsproblem gegenüber. Dies gilt insbesondere für die Regulierung, Aufsicht und Überwachung von Marktteilnehmern und Infrastrukturen. Und außerdem für Regelungen zur möglichen Unterstützung von Infrastrukturen durch den öffentlichen Sektor in Krisensituationen.

Mögliche kurzfristige Effizienzgewinne durch globale Infrastrukturen, sind möglichen Problemen aufgrund einer nicht hinreichend robusten und krisensicheren Verankerung gegenüber zu stellen. Insgesamt erscheinen daher Infrastrukturen, die in einem einheitlichen Währungsraum und unter Anwendung einheitlicher Regelungen und Aufsichtsverfahren agieren, gegenüber global agierenden Infrastrukturen deutlich überlegen.

Allerdings würde ich eine Einschränkungen machen:

Ein Multi-Währungssystem wie die CLS Bank in New York ist per Definition offshore im Hinblick auf mindestens eines oder auch mehrere andere Währungsgebiete und ein effektiver Rahmen zu ihrer Regulierung und Überwachung muss naturgemäß grenzüberschreitender Natur sein. CLS leistet einen wesentlichen Beitrag zur Reduzierung von FX Settlement-Risiken und unterstützt damit das Eurosystem in der Erfüllung seiner statutarischen Aufgaben. Daher hat das Eurosystem im Hinblick auf den PvP Bereich von CLS seine grundsätzliche Position, nämlich dass systemrelevante Infrastrukturen für Euro-denominierte Transaktionen im Euro Raum operieren sollen, nicht zur Anwendung gebracht. Stattdessen ist das Eurosystem, zusammen mit allen anderen Zentralbanken, deren Währung in CLS abgewickelt werden, intensiv in die Aufsichtsaktivitäten der Federal Reserve Bank, die die primäre Verantwortlichkeit für die Aufsicht über CLS trägt, eingebunden und die Zentralbanken haben diesbezüglich ein internationales Abkommen unterzeichnet.

Kooperation und Interoperabilität der einzelnen regionalen Infrastrukturen auf globaler Ebene, unter Voraussetzung eines effektiven Managements der daraus entstehenden Risiken, ist begrüßenswert, um den teils engen Verflechtungen der verschiedenen Marktsegmente gerecht zu werden, und es kann die Effizienz der betroffenen Märkte zum Vorteil aller Marktteilnehmer erhöhen. Auch können einzelne Infrastrukturen, die verschiedene Rechts- und Währungsräume abdecken möchten, dies durchaus tun, sollten dafür jedoch auf lokal lizensierte und überwachte Tochtergesellschaften zurückgreifen.

Darüber hinaus gibt es Globalisierungsinitiativen im aufsichtsrechtlichen Bereich. Beispielsweise erfordert die Existenz verschiedener global operierender Central Counterparties für das Derivateclearing globale Aufsichtsstandards die, mittels einer effektiven Kooperation zwischen den betroffenen Aufsichtsbehörden, auch konsistent umgesetzt werden müssen. Dies trägt zu fairen Wettbewerbsbedingungen für die verschiedenen Anbieter bei und verhindert ein sogenanntes „race to the bottom“ in bezug auf die jeweiligen Aufsichtsanforderungen. Derzeit sind die Zentralbanken und Wertpapieraufseher dabei, die CPSS-IOSCO Empfehlungen für Central Counterparties dementsprechend anzupassen und den Rahmen für harmonisierte Berichtspflichten für einen angemessenen Informationsaustausch zwischen den jeweiligen Aufsehern zu erarbeiten.

Lassen Sie mich abschließend auf die Auswirkungen der globalen Finanzkrise - in der wir uns noch immer befinden - auf die post-trade Infrastrukturen eingehen.

Generell haben sich Infrastrukturen in den turbulenten Zeiten der Krise bewährt. Sie haben sich nicht nur als in Krisenzeiten stabil und effizient erwiesen, sondern haben gleichsam als Intermediatoren dazu beigetragen, die destabilisierenden Effekte der Krise auf die Geld- und Finanzmärkte zu dämpfen.

Dennoch müssen aus der Finanzkrise Lehren gezogen werden, um für mögliche künftige Turbulenzen noch besser gerüstet zu sein.

Erstens, die Abläufe fürs Krisenmanagement müssen verbessert werden, um künftig im Fall der Insolvenz eines oder mehrer Systemteilnehmer effizienter reagieren zu können. Zeitnaher Zugang zu verlässlichen Daten ist die Grundvoraussetzung, um ein effektives Krisenmanagement durchführen zu können. In diesem Zusammenhang sind vor allem global agierende Infrastrukturen angehalten, sich mit den verschiedenen relevanten Behörden in den einzelnen Jurisdiktionen besser abzustimmen und die relevanten Daten bereitzustellen.

Zweitens, arbeiten Infrastrukturen derzeit an ihrem Risikomanagement, um in komplexen Krisenszenarien weiterhin eine funktionierende Abgleichung und Abwicklung von Geschäften gewährleisten zu können. Insbesondere untersuchen Infrastrukturen die Möglichkeiten, ihre Liquiditätsmanagement-Mechanismen weiter auszubauen, um auch in Krisenzeiten effektiv zu funktionieren. Multi-Währungs-Infrastrukturen haben die Notwendigkeit, Zugang zu Liquidität in verschiedenen Währungen zu haben. Diese Infrastrukturen sind einem höheren Liquiditätsrisiko ausgesetzt, wenn sie sich Liquidität über den Geldmarkt oder bei ihrer jeweiligen Zentralbank Liquidität in Fremdwährung beschaffen müssen.

Schlussfolgerungen

Regionale Infrastrukturen, die in einem einheitlichen Währungsraum, unter Anwendung einheitlicher Regelungen, und im Rahmen einer einheitlichen politischen und rechtlichen Verantwortlichkeit und Aufsicht agieren, erscheinen global agierenden Infrastrukturen zunächst überlegen. Dennoch ist es essentiell, Kooperation und Interoperabilität von Infrastrukturen auf globaler Ebene zu unterstützen, wenn es wie im Fall von CLS dazu klare Regelungen zur Aufsicht und Überwachung solcher Strukturen gibt.

Die Infrastrukturen haben sich in den turbulenten Zeiten der Krise gut bewährt. Sie haben sich auch in Krisenzeiten als stabil und effizient erwiesen und haben als Intermediatoren dazu beigetragen, die destabilisierenden Effekte der Krise auf die Geld- und Finanzmärkte zu dämpfen. Die Infrastrukturen müssen dennoch aus der Krise Lehren ziehen, um für mögliche künftige Turbulenzen noch besser gerüstet zu sein. Besonders vor dem Hintergrund der Bedeutung von stabilen, harmonisierten Infrastrukturen für die Finanzmarktintegration auf der einen Seite und der Finanzmarktstabilität auf der anderen Seite, ist es unerlässlich die weitere Integration und Harmonisierung von Marktinfrastrukturen auf europäischer Ebene voranzutreiben.

Im Rahmen von T2S, sind wir nicht nur Mitgestalter einer der derzeit wohl wichtigsten Harmonisierungsinitiativen im post-trade Bereich. T2S wird die Effizienz und die Sicherheit der Wertpapierabwicklung in Europa nachhaltig verbessern und damit ebenfalls einen Beitrag zur Erhöhung der Finanzstabilität leisten. Auch wenn das Projekt heute noch in der Entwicklungsphase ist, so bin ich mir sicher, dass T2S mit Ihrer weiterhin starken Unterstützung zeitgerecht zur Realität wird und voll im Einklang mit den europäischen Marktbedürfnissen stehen wird.

Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

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Europäische Zentralbank

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