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Der Euroraum heute und in der Zukunft

Rede von Jean-Claude Trichet, Präsident der EZBanlässlich der Konferenz The euro’s 10th anniversary: history and presence of the euroMünchen, 10. Juli 2008

Meine Damen und Herren,

es ist mir eine große Ehre und Freude, hier am heutigen Tag über den Euroraum in seiner derzeitigen Form und in der Zukunft sprechen zu dürfen. Noch vor wenigen Jahrzehnten wäre eine einheitliche Währung in Europa für viele Beobachter undenkbar gewesen. Und doch feierten wir, wie Sie wissen, vor Kurzem das zehnjährige Bestehen der EZB und somit auch des ESZB, des Europäischen Systems der Zentralbanken. Seit der Einführung des Euro im Januar 1999 konzentriert sich die EZB auf die Gewährleistung der Preisstabilität im Euroraum, ihr vorrangiges Ziel.

Wie Sie alle wissen, sind die Teuerungsraten seit Herbst letzten Jahres kontinuierlich gestiegen, und es wird davon ausgegangen, dass die Inflation länger als zuvor vermutet oberhalb des mit Preisstabilität vereinbaren Niveaus verharren wird. In der vergangenen Woche mussten wir Maßnahmen ergreifen, um Zweitrundeneffekten vorzubeugen und den steigenden Aufwärtsrisiken für die Preisstabilität auf mittlere Sicht entgegenzuwirken. Unser Beschluss wird dazu beitragen, auf mittlere Sicht Preisstabilität zu gewährleisten. Wie ich in meiner heutigen Rede an späterer Stelle noch erörtern werde, hängt viel von der festen Verankerung der Inflationserwartungen ab.

Im Laufe der vergangenen zehn Jahre hat die EZB ein hohes Maß an Respekt und Glaubwürdigkeit erworben. In der Zeit seit der Einführung der gemeinsamen Währung lag die durchschnittliche Inflationsrate nur geringfügig über 2 %, und dies, obwohl der Euroraum in diesen zehn Jahren zahlreichen Schocks ausgesetzt war, darunter die weltweit noch immer stark steigenden Rohstoffpreise, die in Europa und der übrigen Welt spürbar sind. In den Jahrzehnten vor der Euro-Einführung waren in vielen EU‑Mitgliedstaaten noch deutlich höhere jährliche durchschnittliche Teuerungsraten verzeichnet worden. Dieses bemerkenswerte Ergebnis zeigt, dass die Glaubwürdigkeit, die die erfolgreichsten Vorgängerwährungen zuvor genossen hatten, auf den Euro übergegangen ist.

Ich möchte heute über einige unserer Errungenschaften der vergangenen zehn so bedeutsamen Jahre sprechen, die es verdienen, gefeiert zu werden. Doch neben unseren Erfolgen in Bezug auf die Preisstabilität werde ich auch Gedanken zur Wirtschaftsleistung des Eurogebiets und zu einigen noch verbleibenden Herausforderungen präsentieren, mit denen die EZB und der gesamte Euroraum zu Beginn des zweiten Jahrzehnts ihres Bestehens konfrontiert sind. Anschließend werde ich mich dem Thema einer soliden wirtschaftlichen Führung unserer Währungsunion zuwenden.

1. Zu den Errungenschaften des Euroraums

Der neue geldpolitische Handlungsrahmen, innerhalb dessen die EZB die Geldpolitik für das gesamte Eurogebiet festlegt, wurde rasch verstanden, und ihm wurde von Anfang an Vertrauen entgegengebracht. Die EZB hat einen klaren Auftrag, nämlich die Gewährleistung von Preisstabilität im Euro-Währungsgebiet, und genießt Unabhängigkeit. Im Jahr 2003 stellte die EZB klar, dass Preisstabilität bedeutet, die Inflationsraten mittelfristig unter und nahe 2 % zu halten. Dies ist ein eindeutiger Maßstab, an dem uns die Öffentlichkeit messen kann. Die Bürgerinnen und Bürger des Euroraums haben uns nicht nur ihr Vertrauen geschenkt, sondern wir sind ihnen gegenüber auch in vollem Umfang rechenschaftspflichtig und bestrebt, ihnen unsere Maßnahmen zu erläutern. In den vergangenen zehn Jahren hat der Handlungsrahmen dazu beigetragen, die längerfristigen Inflationserwartungen zu verankern.

Wir alle wissen, dass Preisstabilität für den Erfolg einer großen Wirtschafts- und Währungsunion von entscheidender Bedeutung ist. Sie schützt den Wert unser aller Einkünfte, insbesondere die unserer sozial schwächsten Mitbürger mit den geringsten Einkommen. Ein häufig außer Acht gelassener Aspekt ist, dass Preisstabilität verschiedene weitere Vorteile mit sich bringt. So ist Preisstabilität eine Voraussetzung für nachhaltiges Wachstum, die Schaffung von Arbeitsplätzen und letztlich für den sozialen Zusammenhalt. [1] Sie trägt auch wesentlich zur Finanzstabilität bei.

Der Euro fördert auch das Funktionieren unseres großen kontinentalen Marktes und somit die Verwirklichung eines wahrhaften Binnenmarkts für Waren, Dienstleistungen, Kapital und Arbeit. Während der ersten neun Jahre des Euro wurden im Eurogebiet 15,7 Millionen neue Arbeitsplätze geschaffen, und die Arbeitslosenquote liegt derzeit auf dem niedrigsten Niveau seit den frühen Achtzigerjahren. Zudem hat unsere gemeinsame Währung dazu beigetragen, die Wirtschaft des Euro-Währungsgebiets vor verschiedenen globalen Schocks und den erheblichen Turbulenzen der letzten Jahre zu schützen. Ich möchte Ihnen zwei Beispiele für die Glaubwürdigkeit der EZB und die mit ihr einhergehenden Vorteile geben:

  • In den letzten Monaten beobachteten wir, dass die tatsächliche Inflationsrate vorübergehend von unserem mittelfristigen Ziel abweichen kann. Das erste Beispiel für die Glaubwürdigkeit der EZB ist, dass die langfristigen Inflationserwartungen fest verankert geblieben sind. In der Tat waren sie über die gesamte letzte Dekade hinweg fest verankert. Angesichts der wiederholten wirtschaftlichen Störungen, denen der Euroraum seit seiner Schaffung ausgesetzt war, ist dies bemerkenswert.

  • Das zweite Beispiel für die Glaubwürdigkeit der EZB ist, dass die mittel- und langfristigen Marktzinssätze des Euro im Hinblick auf die in ihnen enthaltenen Inflationserwartungen und Risikoprämien genauso niedrig sind wie die der stabilsten nationalen Vorgängerwährungen. Mit anderen Worten: Wir haben maßgeblich dazu beigetragen, dass die niedrigsten Marktzinsen für Laufzeiten von 5, 10 und bis zu 50 Jahren sichergestellt werden konnten. In den meisten Ländern des Eurogebiets sind die Finanzierungsbedingungen deutlich besser als in den Neunzigerjahren, was auch die Konsolidierung der öffentlichen Finanzen unterstützt. [2]

Der Euro trug darüber hinaus zur Stärkung der Handels- und Finanzbeziehungen zwischen den Ländern des Euroraums bei. Es gibt klare Hinweise darauf, dass die Einführung der einheitlichen Währung und die damit einhergehende höhere Preis- und Kostentransparenz sowohl den Handel mit Waren und Dienstleistungen innerhalb des Euro-Währungsgebiets als auch den Handel mit Ländern außerhalb des Euroraums gefördert hat. So sind die Im- und Exporte innerhalb des Eurogebiets von rund 31 % des BIP im Jahr 1998 um etwa 9 Prozentpunkte auf rund 40 % im Jahr 2007 gestiegen. Im selben Zeitraum nahm der Handel mit Ländern außerhalb des Euroraums um 13 Prozentpunkte von 31 % auf 44 % des BIP im Jahr 2007 zu und ist somit sogar stärker gewachsen als der Handel innerhalb des Euro-Währungsgebiets. Es ist also falsch, von einer „Festung Europa“ zu sprechen.

Lassen Sie mich auch erwähnen, dass ich bei meinen Reisen innerhalb Europas den Eindruck bekomme, dass allmählich ein Umdenken stattfindet. So werden sich die Unternehmen verstärkt der euroraumweiten Tragweite ihrer Handlungen und Entscheidungen bewusst, und die privaten Haushalte erkennen zunehmend die Chancen, die ihnen ein erweiterter Wirtschafts- und Finanzraum bietet.

Die Einführung des Euro ging außerdem mit einer bemerkenswerten Vertiefung der Finanzmarktintegration einher. Die Finanzwelt hat sich in den meisten Marktsegmenten bereits stark verändert und verändert sich auch weiterhin. Der Euro fungiert als Katalysator für eine allmähliche Portfolioumschichtung weg von Beständen inländischer Finanzinstrumente hin zu solchen mit Finanzinstrumenten, die in anderen Ländern des Euroraums begeben werden. So hat sich zum Beispiel der Anteil grenzüberschreitender Bestände an langfristigen Schuldverschreibungen im Euroraum von rund 10 % des gesamten Wertpapierbestands Ende der Neunzigerjahre auf fast 60 % im Jahr 2006 deutlich erhöht. Zudem haben Ansässige im Eurogebiet den Anteil der grenzüberschreitenden Bestände an von Gebietsansässigen im Euroraum ausgegebenen Aktien zwischen 1997 und 2006 von 15 % auf 29 % nahezu verdoppelt; diese Entwicklung war vor allem auf institutionelle Anleger zurückzuführen. Was den Kapitalverkehr anbelangt, so hat der Euro die Direktinvestitionen – insbesondere grenzüberschreitende Fusionen und Übernahmen im verarbeitenden Gewerbe – sowie die Wertpapierströme innerhalb des Euroraums angekurbelt.

Gut integrierte Finanzmärkte und diversifizierte Portfolios verringern die Abhängigkeit der Spar- und Ausgabenentscheidungen privater Haushalte und der Unternehmen von der wirtschaftlichen und finanziellen Entwicklung in einem bestimmten Land, einer Region oder einem Sektor. Der Kreditkanal und die Risikoteilung tragen folglich immer mehr dazu bei, die Auswirkungen von Schocks in einem bestimmten Land oder Sektor des Euroraums abzumildern.

Gestatten Sie, dass ich noch einen weiteren wichtigen Aspekt erwähne. Wir leben in einer Zeit des raschen technologischen Fortschritts. Die Wettbewerbskräfte verändern das verarbeitende Gewerbe, die Finanzlandschaft und die Verteilung des Vermögens weltweit. Es finden auch große demografische Veränderungen statt. Die Auswirkungen dieser „Megatrends“ sind erheblich, wenngleich es schwierig ist, sie genau zu quantifizieren.

Meiner Meinung nach hat sich der Euroraum als Ganzes als widerstandsfähig gegenüber solchen externen Entwicklungen erwiesen. Er ist in seiner Gesamtheit deutlich widerstandsfähiger als es viele seiner Mitgliedsländer vor der Einführung des Euro waren. [3] Somit ist das Euro-Währungsgebiet zu einer Quelle der Stabilität geworden.

Kurz gesagt zeichnet sich der Euroraum heute durch eine immer stärkere Interdependenz und eine anhaltende Integration aus. Im Laufe der vergangenen zehn Jahre konnten wir eine größere Preisstabilität, eine höhere makroökonomische Stabilität sowie eine zunehmende wirtschaftliche und finanzielle Integration feststellen. Allerdings dürfen wir bei all diesen Errungenschaften nicht selbstgefällig werden, denn vieles muss erst noch erreicht werden.

Lassen Sie mich die Behauptung aufstellen, dass mehrere Veränderungen in diesem zweiten Jahrzehnt und darüber hinaus von dem ersten „ W“ in der WWU (Wirtschafts- und Währungsunion) kommen müssen: dass nämlich von wirtschaftlicher Seite weitere erhebliche Anstrengungen und Reformen nötig sind. Anders gesagt stelle ich die These auf, dass wir eine solide wirtschaftliche Führung brauchen. Diese hat zwei Facetten: Zum einen beinhaltet sie, dass das Gesamtniveau der wirtschaftlichen Leistung im Euroraum besser werden muss. Denken Sie beispielsweise an folgende Frage: Wie sollte der Euroraum als Ganzes sein Potenzialwachstum steigern … und dann auch tatsächlich auf einem solchen höheren Niveau wachsen? Die zweite Facette ist, dass wir die Unterschiede der Wirtschaftsleistungen der Länder des Euroraums verstehen und uns mit ihnen auseinandersetzen müssen. Denken Sie hier beispielsweise an die Frage: Inwiefern unterscheiden sich die Länder des Eurogebiets in Bezug auf die wirtschaftliche Leistung? Ich werde mich diesen Aspekten der Reihe nach widmen.

2. Zur wirtschaftlichen Leistung des Euroraums

Die Errungenschaften, die ich soeben beschrieben habe, sind mit einer beeindruckenden Leistung bei der Schaffung von Arbeitsplätzen einhergegangen. Seit Beginn der WWU bis zum Ende des vergangenen Jahres ist, wie bereits erwähnt, die Zahl der Beschäftigten im Euroraum um 15,7 Millionen gestiegen, während in den neun Jahren zuvor nur eine Zunahme um rund 5 Millionen verzeichnet worden war. Die Arbeitslosenquote im Eurogebiet ist auf ihren niedrigsten Stand seit den frühen Achtzigerjahren zurückgegangen. Natürlich kann der sprunghafte Beschäftigungsanstieg nicht allein dem Euro zugeschrieben werden. Er spiegelt auch Umstrukturierungen in Unternehmen, den Fortschritt bei den Strukturreformen und eine allgemeine Lohnzurückhaltung in den meisten Ländern wider.

Europa hat jedoch sein Potenzial in Bezug auf weitere Steigerungen der Erwerbsbeteiligung und der Beschäftigung noch lange nicht ausgeschöpft. Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang einige Fakten anführen. Im internationalen Vergleich ist die Gesamtbeschäftigungsquote im Eurogebiet mit 65,7 % gegenüber 72 % in den Vereinigten Staaten weiterhin moderat, und die Arbeitslosenquote im Euroraum ist mit über 7 % immer noch deutlich zu hoch. Genauer gesagt ist zwar das Beschäftigungsniveau bei Männern mittleren Alters im Euro‑Währungsgebiet mit dem der Vereinigten Staaten vergleichbar, deutliche Unterschiede treten hingegen bei den Beschäftigungsquoten junger, weiblicher und älterer Arbeitnehmer zutage. [4]

Angesichts der Tatsache, dass das Wirtschaftswachstum durch das relativ niedrige Bevölkerungswachstum und die Alterung der Bevölkerung immer stärker gedämpft werden wird, scheinen Arbeitsmarktreformen erst recht angebracht zu sein. Seit den frühen Neunzigerjahren beläuft sich das jährliche Bevölkerungswachstum im Euroraum auf lediglich 0,4 % gegenüber 1,1 % in den USA.

Europa hat noch Spielraum, sein Wachstumspotenzial weiter auszubauen. Seit Anfang der Neunzigerjahre ist das reale BIP im Eurogebiet durchschnittlich um 2,1 % gestiegen, in den Vereinigten Staaten hingegen nahm es um 2,8 % zu. Die Jahreswachstumsrate im Euroraum betrug seit dem Beginn der WWU im Durchschnitt 2,2 %, während sie in den USA bei 2,7 % lag. Auch wenn anzuerkennen ist, dass das Euro-Währungsgebiet in Bezug auf das Wachstum des Pro-Kopf-BIP etwas besser abschnitt als die Vereinigten Staaten, bleibt die Tatsache bestehen, dass sich sein Potenzialwachstum der Untergrenze der zuvor geschätzten Bandbreite von 2 bis 2,5 % angenähert hat. Ein geringes Trendwachstum der Arbeitsproduktivität erklärt größtenteils das moderate Wirtschaftswachstum. In den Achtzigerjahren stieg die Arbeitsproduktivität je Arbeitsstunde im Euroraum um durchschnittlich 2,3 %, in den Neunzigerjahren ging ihr Wachstum auf 1,8 % zurück und zwischen 1999 und 2007 sank es weiter auf 1,2 %. In den Vereinigten Staaten hingegen beschleunigte sich das Wachstum der Arbeitsproduktivität je Arbeitsstunde in denselben Zeiträumen von 1,2 % auf 1,6 % und dann auf 2,1 %. [5]

Was kann zur Steigerung der Arbeitsproduktivität unternommen werden? In den letzten Jahren war ein Beschäftigungswachstum zu beobachten, vor allem im Marktsegment der gering qualifizierten Arbeitskräfte. Dies hat sicherlich zur Verlangsamung des Arbeitsproduktivitätswachstums beigetragen. Auch die Zunahme der Gesamtfaktorproduktivität hat sich deutlich abgeschwächt. Das Wachstum der Gesamtfaktorproduktivität wird in der Regel als Maß für den technologischen Fortschritt sowie die Verbesserung der Organisation und der Gesamteffizienz der Produktion herangezogen. [6] Es gibt viele Faktoren, die für das niedrige Wachstum der Gesamtfaktorproduktivität im Euroraum verantwortlich sind. Leider weisen die meisten europäischen Volkswirtschaften keine geeigneten Anreize für Investitionen in Sach- und Humankapital, für Innovationen und zur Steigerung der Flexibilität und Anpassungsfähigkeit von Unternehmen an ein neues Umfeld auf. [7]

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die bemerkenswerte Arbeitsmarktentwicklung im Euroraum, die seit seiner Schaffung zu beobachten war, sogar noch weiter verbessert werden könnte. Die wachsende Produktivität muss ebenfalls zur Steigerung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung im gesamten Eurogebiet beitragen. Die EZB legt die Geldpolitik fest, indem sie die Leistung des gesamten Eurogebiets betrachtet; sie verfolgt allerdings auch die Entwicklungen in den einzelnen Ländern des Euro-Währungsgebiets genau. Anders gesagt: Wir betrachten auch die Unterschiede bei den Wirtschaftsleistungen der Euro‑Länder.

3. Diversität innerhalb der WWU

Ein gewisser Grad an Diversität ist − bei Wirtschafts- und Finanzentwicklungen − in jedem großen Währungsraum normal. [8] Die Raten des Wirtschaftswachstums und der Inflation sowie Veränderungen bei den Arbeitskosten können aus verschiedenen Gründen von Land zu Land variieren. Manche dieser Gründe stehen möglicherweise in keinerlei Zusammenhang mit der Geldpolitik oder einer einheitlichen Währung. So können Unterschiede in länderspezifischen demografischen Entwicklungen oder einem Aufholprozess bezüglich des Lebensstandards begründet sein. Es könnten auch nationale Unterschiede in Bereichen wie den branchenspezifischen Merkmalen, der Investition in Forschung und Entwicklung (FuE) und der Innovation bestehen. Unterschiede bezüglich des Zeitplans und des Umfangs vergangener Strukturreformen in Ländern des Euroraums stellen ebenfalls einen Grund für Diversität dar. [9]

Unterschiede in der Haushaltspolitik und in anderen nationalen Politikbereichen können ebenso zu unterschiedlichen wirtschaftlichen Situationen führen. Es gibt noch eine weitere Quelle für Diversität im Zusammenhang mit dem Einmalschock durch die Einführung des Euro, die sich möglicherweise derzeit im gesamten System bemerkbar macht. Einige Länder profitierten plötzlich von niedrigeren kurz- und langfristigen Zinssätzen sowie einem leichteren Zugang zu wettbewerbsfähigeren Kreditmärkten. Dies begünstigte den Erwerb von Gebrauchs- und Verbrauchsgütern sowie von Wohnimmobilien, wenngleich dies in den einzelnen Ländern des Euroraums in unterschiedlichem Umfang erfolgte.

Doch betrachten wir die Diversität in einem größeren Zusammenhang. Im Laufe der vergangenen zehn Jahre wich das Maß an Diversität im Euroraum niemals stark von dem der Vereinigten Staaten ab. Und es unterscheidet sich auch nicht signifikant von dem Maß, das innerhalb einiger großer Volkwirtschaften wie Deutschland, Italien oder Spanien zu beobachten war. Ein besonderes Merkmal der Diversität im Euroraum ist jedoch ihre Dauerhaftigkeit über lange Zeiträume hinweg. Mit anderen Worten zeichnet sich die Diversität in den meisten Ländern des Eurogebiets durch eine beträchtliche Trägheit aus. Werfen wir kurz einen Blick auf drei Arten der Diversität.

a) Das Inflationsgefälle im Euroraum nahm in den Achtziger- und Neunzigerjahren deutlich ab und liegt jetzt auf gleicher Höhe wie das der Vereinigten Staaten. So lag die ungewichtete Standardabweichung der jährlichen Inflationsraten nach dem HVPI beispielsweise Ende 1990 noch um die 6 Prozentpunkte, seit der Einführung des Euro hat sich dieser Wert weitgehend um 1 Prozentpunkt stabilisiert. Die Höhe der Unterschiede ist vergleichbar mit dem Gefälle zwischen den 14 US-amerikanischen Ballungszentren (Metropolitan Statistical Areas, MSAs), jedoch etwas größer jenes zwischen den vier US‑Census-Regionen. Deshalb würde ich auf den ersten Blick sagen, dass beeindruckende Fortschritte erzielt worden sind und dass das Inflationsgefälle im Euroraum im internationalen Vergleich nicht hoch ist.

Allerdings halten sich die Inflationsunterschiede im Euro-Währungsgebiet recht hartnäckig, und in dieser Hinsicht unterscheidet sich der Euroraum sehr wohl von den Vereinigten Staaten. Die meisten Länder des Euroraums, die in den letzten Jahren überdurchschnittliche Inflationsraten aufwiesen, befinden sich seit mindestens einer Dekade in dieser Situation. Zu diesen Ländern zählen Spanien und Griechenland. Eine ähnliche Persistenz – jedoch genau umgekehrt – ist bei Ländern mit niedrigen Inflationsraten zu beobachten, beispielsweise Deutschland. In einigen wenigen Ländern wie Portugal oder den Niederlanden sind die Inflationsunterschiede von verhältnismäßig hohen Werten auf das Durchschnittsniveau des Euroraums zurückgegangen oder sogar noch darunter gefallen. Zwar sind derartige Korrekturen zu begrüßen, doch sie kommen nur recht langsam zum Tragen.

Betrachtet man die Kostenseite, so sind die Faktoren, die zu Inflationsunterschieden führen, in den meisten Ländern eher inländischer als externer Natur. Insbesondere konnten wir innerhalb des Eurogebiets nachhaltige Unterschiede bei der Lohnentwicklung sowie geringfügigere Unterschiede beim Arbeitsproduktivitätswachstum beobachten. Diese Unterschiede beim Wachstum der Arbeitskosten waren die Hauptursache für das hartnäckige Fortbestehen der Inflationsunterschiede. Hierfür können verschiedene Gründe angeführt werden. Unterschiedlich starke Lohnrigiditäten innerhalb des Euroraums, außerdem Veränderungen bei den Gewinnspannen, unvollkommener Wettbewerb und die damit verbundenen Preisrigiditäten in den Ländern, all dies schlägt sich in den Arbeitskosten nieder und trägt zu Inflationsunterschieden bei.

Was die Gütergruppen betrifft, so waren im Dienstleistungsbereich größere Preisunterschiede festzustellen, was insbesondere auf die unterschiedliche Lohnentwicklung in den einzelnen Ländern zurückzuführen war. Demgegenüber war das Inflationsgefälle bei handelbaren Industrieerzeugnissen ohne Energie verhältnismäßig niedrig, wobei der Hauptgrund hierfür im höheren Wettbewerb bei den handelbaren Gütern zu sehen ist. Bei Produkten mit verhältnismäßig volatilen Preisen, wie beispielsweise Nahrungsmitteln oder Energie, sind im Hinblick auf Preisänderungen hingegen hohe Unterschiede zwischen den Ländern festzustellen.

b) Die Unterschiede beim Produktionswachstum innerhalb des Euroraums sind seit Anfang der Siebzigerjahre weitgehend stabil. Zwischen 1999 und 2007 wurden keine Anzeichen erhöhter jährlicher Unterschiede beobachtet. Die durchschnittliche Abweichung beim jährlichen realen BIP-Wachstum lag in diesem Zeitraum (als ungewichtete Standardabweichung gemessen) bei rund 2 Prozentpunkten. Diese Zahl liegt sehr nah bei der durchschnittlichen Abweichung der Realwachstumsraten seit den Achtzigerjahren. Betrachtet man zum Vergleich alle 50 US‑Bundesstaaten, so wurde hier in den letzten 15 Jahren beim Realwachstum im Durchschnitt eine Abweichung in Höhe von etwa 2,5 Prozentpunkten verzeichnet. Unterteilt man die Vereinigten Staaten in die acht Statistikregionen, so verringert sich die durchschnittliche Abweichung auf rund 1,5 Prozentpunkte.

Ein Grund zur Besorgnis ist allerdings, dass auch die Unterschiede beim Produktionswachstum innerhalb des Euroraums dauerhaft auf einem verhältnismäßig hohen Niveau verharren. In den Vereinigten Staaten ist dies weniger der Fall. Doch die Vereinigten Staaten als Richtwert heranzuziehen, ist nur bis zu einem gewissen Punkt hilfreich. Einerseits ist die US‑amerikanische Wirtschaft bekanntlich flexibler als das Eurogebiet, was bedeutet, dass die Auswirkungen asymmetrischer Schocks leichter und schneller absorbiert werden können. Andererseits ist in den Vereinigten Staaten eine stärkere regionale Spezialisierung festzustellen als im Euroraum, wodurch die einzelnen Regionen der USA anfälliger für bestimmte asymmetrische Schocks sind.

Nun möchte ich mich den beiden Haupttriebkräften für die Wachstumsunterschiede im Euroraum zuwenden: unterschiedliche Konjunkturzyklen sowie unterschiedliche Entwicklungen. Die Unterschiede innerhalb der Konjunkturzyklen sind seit Anfang der Neunzigerjahre kontinuierlich zurückgegangen. Es bestehen auch Hinweise auf einen stärkeren gemeinsamen Konjunkturzyklus im Euroraum, der zu einem erheblichen Anteil für die Schwankungen innerhalb der Konjunkturzyklen aller Länder des Eurogebiets verantwortlich ist. Seit 1999 haben sich mehrere Schocks auf jeweils ähnliche Weise in allen Ländern des Euroraums ausgebreitet. So hat das Eurogebiet mehrere Schocks erfolgreich überstanden, beispielsweise das Platzen der „Dotcom-Blase“, die Auswirkungen der Terroranschläge vom 11. September, den weltweiten Anstieg der Rohstoffpreise – insbesondere der Energiepreise – und das Fortbestehen erheblicher globaler Ungleichgewichte. Der hohe Synchronisierungsgrad des Konjunkturverlaufs der Länder des Euroraums ist ein spezielles Phänomen des Eurogebiets. Dies deutet darauf hin, dass die Integration der EU, und in jüngerer Zeit die Einführung des Euro, in stärkerem Maße zu einem Rückgang der Unterschiede bei den Produktionslücken zwischen den Ländern des Euroraums beigetragen haben als globale Kräfte.

Im Hinblick auf den zweiten Faktor, der Unterschiede vorantrieb – nämlich Unterschiede bei den Trends –, zeigen sich länger anhaltende Divergenzen seit Beginn der Neunzigerjahre, bei einer allmählichen Zunahme der Streuung des Trendwachstums. Auch hier ergibt sich bei den Ländern des Euroraums ein uneinheitliches Bild, denn einige von ihnen weisen ein dauerhaftes trendmäßiges Produktionswachstum auf, das entweder ober- oder unterhalb des Durchschnitts des Euroraums liegt. In diesem Zusammenhang spielen die vielfältigen Umstände, die ich bereits erwähnte und die Unterschiede hervorrufen, eine Rolle.

c) In den Veränderungen bei der Kosten- und Preiswettbewerbsfähigkeit kommen in erster Linie Veränderungen bei den relativen Lohnstückkosten und anhaltende Inflationsunterschiede zum Ausdruck. Diese zeigen, dass ein beträchtlicher Spielraum für die Beeinflussung der Wettbewerbsfähigkeit besteht, selbst wenn nominale Wechselkursanpassungen fehlen. Damit Sie sich eine Vorstellung von der Größenordnung dieses Spielraums machen können: Betrachtet man das kumulierte Wachstum der Lohnstückkosten für die Gesamtwirtschaft zwischen 1999 und 2007, so lag der Unterschied zwischen den Ländern mit den stärksten Erhöhungen und jenen mit den geringsten Zuwächsen bei rund 20 bis 30 %. Dies ist ein wichtiges Phänomen, und deshalb müssen die auslösenden Faktoren genau untersucht werden.

In Deutschland beispielsweise wurde längere Zeit ein mäßiges Wachstum der Lohnstückkosten verzeichnet, was zu einer Korrektur der Verluste an Wettbewerbsfähigkeit führte, die sich nach der Wiedervereinigung ergeben hatten. Diese Korrektur – und der damit zusammenhängende längere Zeitraum verhältnismäßig niedriger Inflation – ist natürlich vollkommen gerechtfertigt und äußerst begrüßenswert. Sie zeigt auch, dass die Anpassungsmechanismen im Euroraum funktionieren. Ein höheres Maß an Lohnflexibilität würde dazu beitragen, derartige wünschenswerte Anpassungsprozesse zu beschleunigen.

Betrachtet man das andere Extrem, so könnten einige Länder bis zu einem gewissen Grad derzeit dabei sein, zum höheren Lebensstandard anderer Länder aufzuschließen. In diesen im Aufholprozess befindlichen Ländern machen sich deshalb möglicherweise einige vorübergehende Unterschiede bei der Wettbewerbsfähigkeit bemerkbar, in denen Bewegungen hin zu einem neuen Gleichgewicht zum Ausdruck kommen. Einige andere Ursachen für anhaltende Inflationsunterschiede sind jedoch unter Umständen nicht zu rechtfertigen, beispielsweise Unterschiede, die auf eine unzureichende Flexibilität zurückzuführen sind. In einigen Volkswirtschaften führen ein schwaches Arbeitsproduktivitätswachstum sowie eine kräftige Steigerung der Nominallöhne und ‑gehälter über längere Zeiträume hinweg unweigerlich zu einem Verlust an Wettbewerbsfähigkeit.

Insgesamt gesehen sind Unterschiede im Hinblick auf Inflation und Kostenentwicklung nicht wünschenswert, wenn in ihnen strukturelle Rigiditäten oder mangelnder Wettbewerb zum Ausdruck kommen. Obgleich wir Anzeichen für einen stärkeren gemeinsamen Konjunkturzyklus des Euroraums sehen, sind beim nationalen Trendwachstum gleichzeitig Unterschiede zu beobachten. Der Geldpolitik kommt beim Abbau dieser Unterschiede eine begrenzte Rolle zu. Änderungen bei der Wettbewerbsfähigkeit vollziehen sich in einem höheren Tempo als vor der Einführung des Euro, was in gewisser Hinsicht gut ist, da dies bedeutet, dass die notwendigen Anpassungen im Hinblick auf die relative Wettbewerbsfähigkeit zügiger erfolgen können. Allerdings bedeutet dies auch, dass es von zentraler Bedeutung ist, die Indikatoren für die Wettbewerbsfähigkeit genau zu verfolgen, um möglichen raschen Einbußen an relativer Wettbewerbsfähigkeit innerhalb des Euroraums vorzubeugen.

4. Es besteht also eindeutig Bedarf an einer soliden wirtschaftlichen Führung in der WWU

Für die Zukunft des Euroraums ist es nicht nur wichtig, neue Herausforderungen zu meistern; ebenso wichtig ist es, das bereits Erreichte zu konsolidieren. Nun bin ich der Auffassung, dass die zunehmenden Interdependenzen zwischen den Volkswirtschaften des Euroraums zusammen mit der Notwendigkeit, das Niveau der wirtschaftlichen Leistungen zu erhöhen, gleichzeitig jedoch übermäßige Unterschiede bei Inflation, Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit zu bekämpfen, eine solide wirtschaftliche Führung erfordern. Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang die Bedeutung von vier wesentlichen Grundprinzipien hervorheben.

a) Das erste Grundprinzip ist die konsequente Umsetzung des Stabilitäts- und Wachstumspakts als eine Voraussetzung für solide Haushaltspolitiken Mehrere Gründe sprechen dafür, solide Haushaltspolitiken zu unterstützen. Zum Beispiel sind solide Haushaltspolitiken erforderlich, um das Risiko zu senken, dass sich die Haushaltspolitik auf die Geldpolitik und allgemeiner auf die einzelnen Länder auswirkt. Sie sind auch erforderlich, um die Flexibilität und die Anpassungsfähigkeit zu steigern. Eine solide Haushaltspolitik schafft die nötigen Voraussetzungen für Flexibilität, was die Auswirkungen des Konjunkturzyklus durch das Funktionieren automatischer Stabilisatoren abfedert. Eine solide Haushaltspolitik gewährleistet auch angemessene Anreize. Das Steuer- und Sozialleistungssystem sollte größere Verzerrungen vermeiden, die Anreize zum Arbeiten, Sparen, Investieren und zu Innovationen beeinträchtigen, und dadurch die Haushaltspolitik effizienter und wachstumsfreundlicher gestalten. Außerdem hat der öffentliche Sektor eine Vorbildfunktion, was beispielsweise Löhne und administrierte Preise anbelangt. [10] Wichtig ist, dass eine solide Haushaltspolitik auch Vorkehrungen im Hinblick auf die Auswirkungen der Bevölkerungsalterung trifft.

b) Das zweite Grundprinzip für eine solide wirtschaftliche Führung bezieht sich auf die Vollendung des Binnenmarkts. Er wird nicht nur Wettbewerb und Effizienz erhöhen, sondern auch die Anpassungsmechanismen für den Fall negativer Schocks verbessern. In diesem Bereich müssen wir noch immer erhebliche Fortschritte machen – auch wenn der Binnenmarkt, wie im Vertrag von Rom enthalten, das Ziel der Gründungsväter der Europäischen Union war, und diese 50 Jahre währenden Bestrebungen vor 20 Jahren mit der Einheitlichen Europäischen Akte eine erneute Bekräftigung erfuhren.

Laut der OECD sind die Gütermärkte einiger Länder des Euroraums nach wie vor stark reguliert, und diese Art von Regulierung ist im Eurogebiet deutlich stärker ausgeprägter als in den Vereinigten Staaten. Zudem möchte ich darauf hinweisen, dass der Dienstleistungssektor, der 70 % des BIP des Eurogebiets ausmacht, weit davon entfernt ist, vollständig integriert zu sein und wie ein effektiver Binnenmarkt zu funktionieren. Wir messen der vollständigen Integration der Finanzmärkte eine enorme Bedeutung bei, insbesondere weil diesen in einem großen gemeinsamen Währungsraum eine entscheidende Rolle für die Absorption von Schocks und für Anpassungsdynamiken zukommt. Die grenzüberschreitende Mobilität von Arbeitskräften ist empirischen Untersuchungen zufolge im Euroraum noch immer gering – wobei dies auf die grenzüberschreitende Mobilität wie auch auf die Mobilität innerhalb der Länder zutrifft –, was auf verschiedene formale Barrieren im gesamten Euroraum zurückzuführen ist. Dies steht in klarem Gegensatz zur Situation in den Vereinigten Staaten, wo die örtliche Flexibilität der Arbeitskräfte enorm ist und in hohem Maße zum Anpassungsprozess beiträgt. Deshalb muss noch mehr getan werden, um die Mobilität der Arbeitskräfte in Europa zu erhöhen.

c) Das dritte Grundprinzip für eine solide wirtschaftliche Führung ist die Notwendigkeit, die Umsetzung der Strukturreformen genau zu beobachten. Zuvor sprach ich einige strukturelle Faktoren an, die gewöhnlich zu Inflations- und Wachstumsunterschieden wie auch zu einem enttäuschenden Produktivitätsanstieg beitragen. Zu diesen negativen Faktoren zählen vorherrschende Preis- und Lohnrigiditäten, eine übermäßige Arbeitsmarktregulierung und ein in mehreren bedeutenden Sektoren beobachteter unvollkommener Wettbewerb.

Dies ist bereits seit einiger Zeit bekannt. Es wird allgemein anerkannt, dass Reformen eine wesentliche Voraussetzung für die Steigerung der Faktorproduktivität und des Produktionspotenzials, für die Schaffung neuer Arbeitsplätze, zum Erreichen niedrigerer Preise und höherer Realeinkommen und für die Erhöhung der Widerstandsfähigkeit und Flexibilität der Wirtschaft sind. Allerdings zeigt die Erfahrung ganz deutlich, wie schwierig sich die Durchführung von Reformen in der Praxis gestaltet. [11] Wir müssen in diesem Punkt beharrlich sein, und ich werde nun auf einige spezielle Reforminitiativen in drei besonders wichtigen Bereichen eingehen, und zwar: [12]

1. Mehr Menschen müssen in ein Arbeitsverhältnis gebracht werden. Auch wenn in Bezug auf die Schaffung von Arbeitsplätzen bislang schon Beeindruckendes erreicht wurde, weisen die noch immer relativ hohen Arbeitslosenzahlen im Euro-Währungsgebiet (sowie die niedrige Erwerbsbeteiligung in einigen Ländern) klar darauf hin, dass nicht nur das Arbeitsangebot, sondern auch die Nachfrage nach Arbeit belebt werden muss. Im Zusammenhang mit der Arbeitsnachfrage müssen Arbeitsmarktrigiditäten verringert werden, da sie die Lohndifferenzierung und ‑flexibilität einschränken und dadurch tendenziell die Beschäftigung jüngerer und insbesondere älterer Arbeitnehmer erschweren. In einigen Ländern des Eurogebiets müssen weitere Fortschritte hin zu einer größeren vertraglichen Flexibilität erzielt werden. Außerdem ist es in den europäischen Ländern, in denen die Wettbewerbsfähigkeit nachgelassen hat – oder die Arbeitslosenquote weiterhin hoch ist, wichtig, dass Lohnerhöhungen die Produktivitätsgewinne nicht völlig aufzehren, um für Unternehmen Anreize zu schaffen, zusätzliche Arbeitsplätze zu schaffen. [13] Was schließlich das Arbeitsangebot anbelangt, so würden weitere Reformen der Einkommensteuer- und Transfersysteme dazu beitragen, den Arbeitsanreiz zu erhöhen.

2. Stärkung des Wettbewerbs. Durch die Schaffung effizienter und gut funktionierender Güter- und Dienstleistungsmärkte können die Produktivitätsentwicklungen angekurbelt werden, indem insbesondere Investitions- und Innovationsanreize verbessert, die Schaffung weiterer Arbeitsplätze unterstützt, die Persistenz der Inflation herabgesetzt und der Aufwärtsdruck auf die Preise eingedämmt wird, wodurch die Anpassungsfähigkeit der Länder verbessert wird. Von Bob Solow stammt der Ausspruch, dass langfristig gesehen abgesehen vom Produktivitätswachstum wenig anderes zählt. [14] Zweifelsohne wurden in den vergangenen zwei Jahrzehnten in Bezug auf das Binnenmarktprogramm bereits bedeutende Fortschritte erzielt, wovon die europäischen Volkswirtschaften bereits erheblich profitiert haben. [15] Allerdings haben die Erweiterung und Vertiefung des Binnenmarkts auch weiterhin eine hohe Priorität, was die weitere Finanzmarktintegration, die Verfolgung eines effektiven Wettbewerbs am Energiemarkt und die Umsetzung der Dienstleistungsrichtlinie betrifft. [16]

3. Förderung eines innovativen Umfelds. Die von mir genannten Reformen müssen mit Maßnahmen einhergehen, die Innovation durch höhere Investitionen in Forschung und Entwicklung fördern und von Politiken begleitet werden, die auf eine Verbesserung des Humankapitals ausgerichtet sind. Europa benötigt viele junge und dynamische Unternehmen, die bereit sind, die Vorzüge sich öffnender Märkte auszuschöpfen und kreative sowie innovative Unternehmungen einzugehen, da Arbeitsplätze eindeutig eher von jungen und kleinen Unternehmen geschaffen werden als von großen. Daher ist ein unternehmerfreundliches Umfeld mit weniger Bürokratie und einem leichteren Zugang zu Finanzierungsmitteln für diese Firmen vonnöten. In diesem Bereich liegt Europa noch weit zurück; die Risikokapitalfinanzierung beispielsweise macht hier, im Verhältnis zur Größe seiner Volkswirtschaft, nur einen Bruchteil des Volumens der Vereinigten Staaten aus.

Wir wissen, dass Forschung und Entwicklung sowie das Humankapital wertvolle Beiträge zum Wachstum der Gesamtfaktorproduktivität leisten. Im Jahr 2006 belief sich das Verhältnis der FuE-Investitionen zum BIP im Euroraum auf nur 1,9 %, gegenüber 2,7 % in den Vereinigten Staaten. [17] Auch die Zusammenarbeit zwischen Universitäten, Forschungseinrichtungen des öffentlichen Sektors und der Industrie muss intensiviert werden, um die Effizienz öffentlicher FuE-Ausgaben zu erhöhen. Leider sind die Investitionen in Humankapital in mehreren Ländern des Euroraums für eine „wissensbasierte“ Wirtschaft nach wie vor zu gering. Die Beschäftigungsfähigkeit und Flexibilität der Arbeitskräfte macht es erforderlich, dass das Humankapital fortwährend den Erfordernissen des Arbeitsmarkts angepasst wird. Diese Investition sollte schon „früh“ einsetzen, indem die Qualität und Effizienz unserer Schulen und Universitäten verbessert werden und durch Weiterbildung und lebenslanges Lernen ergänzt werden.

d) Das vierte Grundprinzip für eine solide wirtschaftliche Führung ist die Notwendigkeit, die Lohnstückkosten und die nationalen Indikatoren der Wettbewerbsfähigkeit zu beobachten, um außergewöhnliche Abweichungen zu vermeiden oder zu korrigieren. Wir erwarten eine gewisse Streuung und Unterschiede zwischen den Ländern des Eurogebiets. Wie ich bereits angemerkt habe, wird es in einem derart großen Wirtschaftsraum immer eine gewisse Diversität geben, wie dies auch in den Vereinigten Staaten der Fall ist. Bei den Ländern, die in Bezug auf das Pro-Kopf-BIP und die Preisniveaus aufholen, ist es stets wahrscheinlich, dass sie ein kräftigeres Produktionswachstum und eine höhere Inflation aufweisen. Diversität kann sich auch auf die Korrektur vergangener übermäßiger Entwicklungen bei der gesamten Kosten- und Preiswettbewerbsfähigkeit erstrecken, insbesondere an den Märkten für handelbare Güter und Dienstleistungen. In solchen Situationen müssen die nationalen Regierungen und die Sozialpartner Maßnahmen ergreifen, um übermäßigen Lohnentwicklungen gegenzusteuern und das Produktivitätswachstum zu stärken, sodass die Lohnstückkosten in diesen Volkswirtschaften weniger schnell steigen als im Durchschnitt des Euroraums.

Insgesamt kann diese solide wirtschaftliche Führung die Stabilität und das Wachstum der Wirtschaft fördern und zugleich die Auswirkungen negativer Schocks dämpfen oder aber die Anpassung danach erleichtern. Die aufmerksame Beobachtung der wirtschaftlichen und finanziellen Entwicklungen – und insbesondere der Veränderungen der Wettbewerbsfähigkeit – müssen ein integraler Bestandteil dieser wirtschaftlichen Führung sein. Es ist auch von wesentlicher Bedeutung, dass die Öffentlichkeit diese Elemente versteht und akzeptiert. Deshalb sind wir stets bemüht, zu erläutern, welche Maßnahmen wir ergreifen und weshalb.

***

Meine Damen und Herren, ich komme nun zu den Schlussfolgerungen.

In den vergangenen zehn so bedeutsamen Jahren haben wir viel erreicht. Die Einführung des Euro war ein großer Erfolg. Die Glaubwürdigkeit und das Vertrauen, die das Privileg der glaubwürdigsten nationalen Vorgängerwährungen des Euro gewesen waren, sind seit 1999 in vollem Umfang auf die gemeinsame Währung übergegangen. Die Inflationserwartungen sind fest verankert, und die mittel- und langfristigen Zinssätze im Euroraum befinden sich auf einem ebenso niedrigen Niveau, wie es bei den glaubwürdigsten dieser nationalen Vorgängerwährungen der Fall war. Außerdem beobachten wir ein beachtliches Maß an Widerstandsfähigkeit in einem komplexen internationalen Umfeld.

Diese Errungenschaften bilden eine solide Grundlage für unsere Zukunft. Doch wir wissen auch, dass das Eurogebiet noch immer vor immensen Herausforderungen steht. Was müssen wir in den nächsten zehn Jahren und darüber hinaus unternehmen, um den großartigen Erfolg des Euro zu konsolidieren und die Leistungen der Volkswirtschaften des Euroraums zu steigern? Wir, das heißt die EZB und das Eurosystem, müssen die Qualität unserer Geldpolitik beibehalten. Dadurch können alle Vorteile der Preisstabilität in Bezug auf niedrige aktuelle und erwartete Inflationsraten und Zinssätze gewährleistet werden.

Um das erste „W“ der WWU zu stärken, müssen wir unser Augenmerk auf eine solide wirtschaftliche Führung richten, und wir müssen eine breit angelegte Akzeptanz hierfür sicherstellen. Dies beinhaltet eine konsequente Umsetzung des Stabilitäts- und Wachstumspakts, die Vollendung des Binnenmarkts, die Umsetzung der Strukturreformen der Agenda von Lissabon sowie eine sorgfältige Überwachung der nationalen Lohnstückkosten und der Indikatoren für die Wettbewerbsfähigkeit.

Die von mir beschriebenen Errungenschaften und die sichtbaren Vorteile des Euro unterstützen eine solche solide wirtschaftliche Führung. Diese Errungenschaften und Vorteile helfen den nationalen Regierungen dabei, ihre Volkswirtschaften anzupassen und weiter zu liberalisieren.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

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  1. [1] Aus mehreren Studien geht hervor, wie schädlich die Inflation (sowie die Volatilität der Inflationsrate) sein kann. Hierzu ist anzumerken, dass empirische Untersuchungen zeigen, dass es einen negativen Zusammenhang zwischen Inflation und Produktionswachstum gibt; so geht ein dauerhafter Inflationsanstieg von 100 Basispunkten mit einem Rückgang der trendmäßigen Entwicklung des Produktionswachstums von 10 bis 30 Basispunkten einher (siehe EZB‑Monatsbericht vom Mai 2008).

  2. [2] Nach der Einführung des Euro entsprach die Zinsstrukturkurve vollständig dem Richtwert, den die glaubwürdigsten Währungen aus der Zeit vor der WWU vorgegeben hatten. Als Ergebnis hiervon sind die mittel- und langfristigen Marktzinssätze bei der Euro-Einführung in einigen Ländern des Euroraums auf beispiellose Tiefststände zurückgegangen und seither dort geblieben. Dies ist ein unschätzbarer Vorteil. In den meisten Ländern des Eurogebiets herrschen bedeutend bessere Finanzierungsbedingungen als in den Neunzigerjahren, was auch zur Konsolidierung der öffentlichen Haushalte beitrug. Beispielsweise konnten im Vorfeld der dritten Stufe der WWU die Haushaltsdefizite beträchtlich verringert werden, von durchschnittlich 5,2 % des BIP im Zeitraum 1990 bis 1998 auf durchschnittlich 3,4 % zwischen 1999 und 2007. Dies war hauptsächlich auf geringere Zinszahlungen zurückzuführen (siehe die Sonderausgabe des EZB-Monatsberichts „10 Jahre EZB“ vom Juni 2008).

  3. [3] Vor nicht allzu langer Zeit wurden die Auswirkungen der Wechselkursbewegungen der Deutschen Mark gegenüber dem US-Dollar häufig durch ähnliche Bewegungen zwischen den Währungen, die mittlerweile durch den Euro ersetzt wurden, verschärft. Dies ist nun nicht mehr möglich. Diese zunehmende Widerstandsfähigkeit zeigt sich darin, dass die größten Schocks der letzten zehn Jahre für die Streuung des Produktionswachstums keine große Rolle gespielt haben. Anders gesagt: Sie haben nicht zu den wirtschaftlichen Unterschieden beigetragen, mit denen ich mich nun auseinandersetzen werde.

  4. [4] Beispielsweise lag die Beschäftigungsquote bei den Frauen im Euroraum im Jahr 2007 bei 58 % im Vergleich zu 66 % in den Vereinigten Staaten im Jahr 2006; bei älteren Arbeitnehmern betrug sie 43,3 % im Vergleich zu 61,7 % in den Vereinigten Staaten im Jahr 2006, und die Beschäftigungsquote junger Arbeitnehmer belief sich 2006 im Euroraum auf 38 % gegenüber 54,2 % in den Vereinigten Staaten. Im Fall des Eurogebiets erweisen sich diese Werte als konsistent mit dem „Insider-Outsider-Phänomen“ des europäischen Arbeitsmarkts. Bei diesem Phänomen sind strukturelle Hemmnisse, die vom rechtlichen und regulatorischen Umfeld, von einer hohen Besteuerung der Arbeit und von Rigiditäten im Zusammenhang mit Lohnregelungen herrühren, unter Umständen dafür verantwortlich, dass diese „Randgruppen“ an einer aktiven Beteiligung am Arbeitsmarkt gehindert werden.

  5. [5] Es wird davon ausgegangen, dass die Daten zu den geleisteten Arbeitsstunden je Arbeitnehmer für den Euroraum im Jahr 2007 konstant sind. Die Daten zu den geleisteten Arbeitsstunden je Arbeitnehmer für die Vereinigten Staaten werden anhand der OECD-Daten für 2006 und 2007 geschätzt. Die Quelle für diese Daten ist die AMECO-Datenbank.

  6. [6] Laut Angaben der Europäischen Kommission nahm die Gesamtfaktorproduktivität in den Achtzigerjahren durchschnittlich um 1,6 % zu, bevor sie in den Neunzigerjahren auf 1,1 % und zwischen 1999 und 2007 auf 0,7 % zurückging. Die Länder, denen es gelungen ist, die Effizienzgewinne zu nutzen, die sich insbesondere aus neuen Technologien ergaben, verzeichneten ein höheres Wachstum der Arbeitsproduktivität. Beispielsweise waren in den vergangenen zehn Jahren die Investitionen in die Informations- und Kommunikationstechnologie in den Vereinigten Staaten doppelt so hoch wie im Euroraum. Laut der EU-KLEMS-Datenbank betrug der Beitrag, den das IKT‑Kapital zwischen 1995 und 2005 zum gesamten Wirtschaftswachstum leistete, im Euroraum durchschnittlich 0,4 Prozentpunkte, in den Vereinigten Staaten hingegen lag er im selben Zeitraum im Durchschnitt bei 0,8 Prozentpunkten.

  7. [7] Die strukturellen Merkmale der Industrieländer mit den besten Ergebnissen, d. h. flexiblere Arbeitsmärkte, stärkerer Wettbewerb an den Gütermärkten und niedrigere Markteintrittsbarrieren für neue Unternehmen, scheinen empfänglicher für die Möglichkeiten gewesen zu sein, die sich durch die neuen Technologien bieten.

  8. [8] Diversität wird manchmal auch als Heterogenität oder als Divergenzen bezeichnet, wobei meiner Meinung nach der Begriff „Diversität“ in den meisten Fällen angemessener ist, da ein erhebliches Maß an Unterschieden nicht als Fehlentwicklung, sondern als grundlegendes Element großer kontinentaler Volkswirtschaften – wie dies die Vereinigten Staaten und der Euroraum sind – zu sehen ist.

  9. [9] Ein Beispiel hierfür sind die Niederlande, die Arbeitsmarktreformen deutlich vor den größten Ländern des Euro‑Währungsgebiets durchgeführt haben. Dies erhöhte ihre Flexibilität und ihre Fähigkeit, sich an sehr unterschiedliche Schocks anzupassen. In anderen Ländern hingegen konnten sich kurzfristige Schocks möglicherweise erheblich nachhaltiger auf Wachstumsunterschiede auswirken, was auf langsame Anpassungsprozesse aufgrund von strukturellen Rigiditäten zurückzuführen war.

  10. [10] Zum Beispiel kann das Verhalten des öffentlichen Sektors das Bewusstsein der Sozialpartner für den Zielkonflikt zwischen höheren Gehältern und der Schaffung von Arbeitsplätzen schärfen. Zudem werden die Bevölkerungsalterung in den meisten Industrieländern, ein erheblicher Anstieg des Altenquotienten sowie höhere Gesundheits- und Pflegeausgaben einen immer stärkeren Druck auf die öffentlichen Finanzen ausüben.

  11. [11] Die Notwendigkeit von Strukturreformen wurde in der Agenda von Lissabon im Jahr 2000 unterstrichen. Bei dieser handelt es sich um ein grundlegendes und ehrgeiziges Programm, durch das die Aufmerksamkeit Europas auf die Bereiche gelenkt werden soll, in denen Veränderungen am vordringlichsten sind. Vor nicht allzu langer Zeit wurde die Agenda von Lissabon neu ausgerichtet, und ihr Schwerpunkt liegt nun auf Wachstum und Beschäftigung. Es wurden mehrere erreichbare Ziele gesetzt, um die Flexibilität und Anpassungsfähigkeit der Arbeitsmärkte zu verbessern, den Wettbewerb an den Güter- und Dienstleistungsmärkten zu intensivieren, die Innovation zu fördern und um die Wachstums- und Beschäftigungszahlen in allen teilnehmenden Ländern zu verbessern.

  12. [12] Diese Bereiche spiegeln sich eindeutig in den Integrierten Leitlinien für die neue Phase der Strategie von Lissabon und in den Empfehlungen für den Euroraum wider. Wir begrüßen den Reformwillen, den einige Regierungen inzwischen wieder an den Tag legen und der nun zu der stärker fokussierten „Partnerschaft für Wachstum und Beschäftigung“ sowie zu Verpflichtungen der nationalen Reformprogramme zu Strukturreformen geführt hat. Außerdem müssen wir das Vorgeben von Referenzwerten für günstige Entwicklungen stärken, um genauer die Bereiche aufzeigen zu können, in denen Reformen am dringendsten erforderlich sind.

  13. [13] In diesem Kontext vertritt der EZB-Rat die Auffassung, dass Elemente, die Lohnrigiditäten verstärken und insbesondere zu einer nicht optimalen Lohnbildung führen, sowie die Bindung der Nominallöhne an den Verbraucherpreisindex zu vermeiden sind. Dies ist momentan angesichts des Risikos von Zweitrundeneffekten durch die Auswirkung höherer Energie- und Nahrungsmittelpreise auf die Löhne von besonderer Bedeutung. Die Vermeidung solcher Entwicklungen ist wesentlich, um auf mittlere Sicht Preisstabilität und damit die Kaufkraft aller Bürgerinnen und Bürger im Euroraum zu gewährleisten.

  14. [14] Siehe den einleitenden Artikel der Sonderausgabe über die Verlangsamung des Produktivitätswachstums in The Journal of Economic Perspectives, Bd. 2, Nr. 4, 1988.

  15. [15] Schätzungen der Europäischen Kommission zufolge hatte der Binnenmarkt im Jahr 2006 zur Schaffung von 2,75 Millionen Arbeitsplätzen geführt und eine Wohlstandserhöhung um 518 € pro Kopf generiert; dies entspricht einer Erhöhung des BIP in der EU um 2,15 % im Zeitraum 1992 bis 2006 (siehe Europäische Kommission, The single market: review of achievements, November 2007).

  16. [16] Angesichts ihrer Bedeutung für die Durchführung der einheitlichen Geldpolitik ist eine weitere Integration der europäischen Finanzmärkte für die EZB von entscheidender Bedeutung. In mehreren Marktsegmenten wurden bereits große Fortschritte erzielt. Im Allgemeinen ist die Finanzintegration in den Marktsegmenten, die in engerem Zusammenhang mit der Geldpolitik stehen, bereits weiter fortgeschritten. Während die Bankenmärkte des Euro-Währungsgebiets in den Bereichen Großkundengeschäft und kapitalmarktbezogene Geschäfte seit der Euro-Einführung deutliche Anzeichen für eine zunehmende Integration aufweisen, ist der Geschäftsbereich des Privatkundenmarkts nach wie vor stärker fragmentiert, wodurch die europäischen Unternehmen und Verbraucher die Vorteile der WWU und des Binnenmarkts nicht voll ausschöpfen können.

  17. [17] Während viele Mitgliedstaaten davon ausgehen, dass sie ihre Ausgaben in diesem Bereich erhöhen werden, wird die EU ihr Gesamtziel von 3 % des BIP bis 2010 nicht erreichen. Eine Erhöhung der Investitionen in Forschung und Entwicklung ist natürlich kein Selbstziel. Wenn wir eine Auswirkung auf das Wachstum beabsichtigen, ist auch der Ertrag aus diesen FuE-Investitionen von Bedeutung.

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