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Die Währungsunion als Klammer der EU?

Rede von Jürgen Stark, Mitglied des Direktoriums der EZBVortrag im Rahmen der Europa-Ringvorlesung “Die Zukunft Europas”Universität TübingenAktionsgemeinschaft Soziale MarktwirtschaftTübingen, 16. Januar 2007

I

Was in den letzten 50 Jahren in Europa an Integrationsfortschritten erreicht wurde, ist bemerkenswert und im globalen Vergleich einzigartig. In keiner anderen Region der Welt hat es einen solchen politischen Willen zur Zusammenarbeit und zur Integration gegeben wie in Europa. Der von zwei Weltkriegen gekennzeichneten ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts folgte mit der europäischen Einigung der Prozess der Friedenssicherung in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts.

Heute werden viele positive Wirkungen der europäischen Einigung als Selbstverständlichkeit betrachtet. Der Wert des Erreichten wird damit relativiert. Oder es wird auf die aktuellen Probleme in der EU hingewiesen, u. a. auf die

  • ungewisse Zukunft des Verfassungs-Vertrages;

  • Anpassungsprobleme infolge der Erweiterung der EU;

  • Bürgerferne Europas und auf die zu dichte Regulierung.

Tatsächlich ist die Schaffung eines gemeinsamen europäischen Binnenmarktes im Jahr 1993, der einen ungehinderten, grenzüberschreitenden Austausch von Waren, Dienstleistungen, Kapital und Arbeitskräften zwischen den EU Mitgliedstaaten vorsieht und ermöglicht, eine der größten Errungenschaften der EU. Die europäischen Bürger profitieren von einem deutlich größeren Angebot an hochwertigen Waren. Die Unternehmen profitieren von vergrößerten Absatzmärkten für Konsum- und Investitionsgüter. Mit der EU Erweiterung zu Jahresbeginn auf nunmehr 27 Mitgliedstaaten hat sich der gemeinsame Markt nochmals vergrößert.

Ein weiterer Meilenstein der europäischen Integration ist der Zusammenschluss von zunächst elf, dann zwölf und seit Jahresbeginn nunmehr 13 EU-Mitgliedstaaten zur Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion (EWWU). Sie teilen das Schicksal einer gemeinsamen Währung. Dahinter steht ein über viele Jahrzehnte verlaufender Integrationsprozess, mit vielen Anläufen, Konzeptionen, Rückschlägen und am Ende doch mit Fortschritten.

  • Schon im EWG-Vertrag, mit dem vor 50 Jahren als Teil der Römischen Verträge die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft begründet wurde, wird der Zusammenhang zwischen wirtschaftlicher und währungspolitischer Integration genannt.

  • Die Idee einer Wirtschafts- und Währungsunion wurde dann in den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts diskutiert und im so genannten „Werner-Plan“ 1970 konkretisiert.

  • Im März 1971 kamen die Mitgliedstaaten überein, eine Wirtschafts- und Währungsunion zu schaffen. Als erster Schritt wurde 1972 der Europäische Währungsverbund geschaffen (Währungsschlange).

  • Infolge unterschiedlicher politischer Reaktionen in den Mitgliedstaaten auf die Ölpreis-Explosion in der ersten Hälfte der 70er Jahre verlor der Integrationsprozess an Dynamik. Ende der 70er Jahre nahm dann die monetäre Integration mit der Gründung des Europäischen Währungssystems wieder an Fahrt auf, initiiert von Valéry Giscard d'Estaing und Helmut Schmidt.

  • Der Prozess zum Maastricht-Vertrag startete 1988, als der Europäische Rat in Hannover, unter Vorsitz von Helmut Kohl, das Ziel bestätigte, eine Wirtschafts- und Währungsunion zu schaffen. Zu diesem Zweck wurde eine hochrangige Arbeitsgruppe eingesetzt, die hierfür konkrete Schritte und insbesondere ein europäisches Zentralbank Statut ausarbeiten sollte. Es wurde ein neuer wirtschaftspolitischer und geldpolitischer Ordnungsrahmen entwickelt, der zur Schaffung des ESZB und der Einführung des Euro führte.

Insgesamt bedurfte es somit mehr als 40 Jahre der Diskussion, der Vorbereitung, der Konkretisierung der währungspolitischen Integration, um in Europa eine gemeinsame Währung zu schaffen.

II

Auf dem Gebiet der Geld- und Währungspolitik hat die EU mit dem Euro und der neuen gemeinsamen europäischen Währungsordnung den höchsten denkbaren Integrationsgrad erreicht. Die Geldpolitik ist damit den anderen Politikbereichen weit vorausgeeilt. Die Mitgliedstaaten der EWWU haben ihre nationale geldpolitische Souveränität und ihre geldpolitische Verantwortung Ende 1999 an die europäische Ebene abgetreten, an eine supranationale Institution, die EZB.

Der institutionelle Rahmen für die einheitliche Geldpolitik

Mit dem Maastricht-Vertrag, den ergänzenden Protokollen und Verordnungen wurde für den Euro bzw. die Europäische Währungsunion ein neuer Ordnungsrahmen und ein solides institutionelles Fundament geschaffen.

  1. Qualifikationskriterien bzw. Konvergenzkriterien legen fest, wer wann der Währungsunion beitreten darf. Über vier Kriterien, die bei Eintritt in die Währungsunion erfüllt werden müssen, – nämlich Inflation, Haushaltslage, langfristige Zinsen und Teilnahme am Europäischen Währungssystem – soll ein hoher Grad dauerhafter wirtschaftlicher Konvergenz sichergestellt werden. Außerdem muss nachgewiesen werden, dass die jeweiligen innerstaatlichen Rechtsvorschriften mit dem Vertrag vereinbar sind (rechtliche Konvergenz).

  2. Die Europäische Zentralbank (EZB), das Gravitationszentrum des Europäischen Systems der Zentralbanken (ESZB) und des Eurosystems, wurde mit einem hohen Maß an Unabhängigkeit (Artikel 108 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaften (EGV)) von der Politik ausgestattet. Dies gilt institutionell, personell, finanziell und instrumentell. Die Unabhängigkeit der EZB von politischem Einfluss ist ein hohes Gut.

  3. Die EZB erhält das klare und prioritäre Mandat, Preisstabilität sicherzustellen (Artikel 105 EGV).

Der institutionelle Rahmen für die Koordinierung der Wirtschaftspolitik

Der Maastricht-Vertrag mit seiner Ergänzung durch den Stabilitäts- und Wachstumspakt hat jedoch nicht nur für die Geldpolitik einen neuen institutionellen Rahmen geschaffen sondern auch für die Wirtschafts- und Haushaltspolitik.

Es ist jedoch wichtig festzustellen, dass der institutionelle Rahmen für die Geldpolitik auf der einen Seite und für die Wirtschaftspolitik auf der anderen sich hinsichtlich der Integrationsgrade ganz erheblich unterscheiden. Mit anderen Worten, der Begriff Wirtschafts- und Währungs union nimmt im Vertrag unterschiedliche Formen der Zusammenarbeit, unterschiedliche Grade der Integration an. Im Gegensatz zur Währungsunion bedeutet Wirtschafts-Union nicht die Vergemeinschaftung der nationalen Politiken. Und sie umfasst auch nicht die Kompetenzübertragung auf die Gemeinschaftsebene. Vielmehr sollen die Mitgliedstaaten nach dem Vertrag die Wirtschaftspolitik als „eine Angelegenheit von gemeinsamem Interesse“ betrachten (Art. 99 EGV). Damit blieb in der Wirtschaftspolitik im weitesten Sinne – also einschließlich der Haushaltspolitik und anderer Politikbereiche – die nationale Souveränität weitgehend erhalten.

Allerdings ergeben sich aus dem Vertrag Einschränkungen der Souveränität, indem ein Rahmen mit Verfahren und Instrumenten bzw. eine Regelbindung für die nationalen Politiken vorgegeben wird. Der Vertrag schreibt eine enge Koordinierung der Wirtschafts- und Haushaltpolitiken vor (Artikel 99 EGV, Artikel 128 EGV, Artikel 104 und seine Spezifizierung im Stabilitäts- und Wachstumspakt).

Das zentrale und wichtigste Koordinierungs­instrument („weiche Koordinierung“) für die Wirtschaftspolitik – mit Ausnahme der Geldpolitik - sind die Wirtschaftspolitischen Leitlinien (Artikel 99 EGV). Sie bilden den Rahmen für die verschiedenen politischen Bereiche wie öffentliche Finanzen, Strukturreformen und Steuerpolitik. Daneben sieht der EGV die Entwicklung einer europäischen Beschäftigungsstrategie vor.

Aufbauend auf diesen Instrumenten des EGV haben die Mitgliedstaaten beim Europäischen Rates von Lissabon im März 2000 eine neue Methode der „offenen Koordinierung“ beschlossen. Dieses Verfahren führt Leistungsvergleiche anhand von Kennziffern („Benchmarking“), Verbreitung optimaler Verfahren („Best Practices“) und zeitliche Vorgaben für die Umsetzung wirtschaftspolitischer Vorhaben ein.

Der Lissabon Prozess setzte das ehrgeizige strategische Ziel, die Europäische Union bis zum Jahr 2010 zum „wettbewerbsfähigsten und dynamischsten, wissensbasierten Wirtschaftsraum der Welt zu machen – einem Wirtschaftsraum, der fähig ist, ein dauerhaftes Wirtschaftswachstum mit mehr und besseren Arbeitsplätzen und einem größeren sozialen Zusammenhalt zu erzielen.“.

Bei der Halbzeit-Überprüfung der Lissabon Strategie im März 2005 in Brüssel musste der Rat feststellen, dass die Ergebnisse in den ersten fünf Jahren unzureichend waren. Als Konsequenz dieser ernüchternden Bilanz wurde das unübersichtlich gewordene Geflecht der Koordinierungsverfahren verschlankt und die Zahl der Ziele reduziert. Die verschiedenen Verfahren hatten eine regelrechte Flut von Berichten produziert, was die Überwachung der Fortschritte erschwerte. Die Grundzüge der Wirtschaftspolitik und die beschäftigungspolitischen Leitlinien wurden zu sog. „integrierten Leitlinien“ gebündelt, die nun für einen Zeitraum von drei Jahren beschlossen werden. Diese „integrierten Leitlinien“ dienen als Grundlage für die Ausarbeitung nationaler Reformprogramme, in denen die Mitgliedstaaten festlegen, welche Maßnahmen erforderlich sind, um Wachstum und Beschäftigung im Einklang mit der Lissabon Strategie zu stimulieren.

Der institutionelle Rahmen für die Überwachung und Koordinierung der Haushaltspolitiken

Neben der wirtschaftspolitischen Koordinierung zwischen den Mitgliedstaaten gibt es besondere Vorgaben und Verfahren des Maastricht-Vertrags (Art 104 EGV) für die Haushaltspolitik der Mitgliedstaaten in der Europäischen Union. Die haushaltspolitischen Regeln sollen für dauerhaft solide öffentliche Finanzen in den Mitgliedstaaten sorgen. Damit soll auch eine nachhaltige Absicherung der wirtschaftlichen Konvergenz erreicht werden. Ergänzt und konkretisiert werden sie durch den Stabilitäts- und Wachstumspakt, mit dem die stabilitätsgefährdende offene Flanke der öffentlichen Finanzen für die Währungsunion geschlossen werden sollte.

Diese institutionelle Neuerung sollte das „free rider“-Problem lösen. Der Tendenz zu überhöhten nationalen Haushaltsdefiziten in einem einheitlichen Währungsraum sollte durch europäische Haushaltsregeln entgegengewirkt werden. Während alle Länder vom niedrigeren langfristigen Zinsniveau in der Währungsunion profitieren, ohne Wechselkursrisiken oder größere Risikoprämien tragen zu müssen, war es fraglich, ob die Reaktion der Finanzmärkte ausreicht, um eine Regierung von überhöhten Defiziten abzuhalten. Diese für alle Mitgliedstaaten verbindlichen Regeln wurden als besonders wichtig erachtet, um die Fiskalpolitik im Euroraum (auch ohne Zentralgewalt) angemessen überwachen und koordinieren zu können. Schließlich gefährden Mitgliedsländer mit unsoliden Finanzen in der Währungsgemeinschaft nicht nur die Stabilität in ihren eigenen Grenzen, sondern die des gesamten Währungsraums.

Die fiskalpolitischen Regeln im EG Vertrag und insbesondere der Stabilitäts- und Wachstumspakt sollen vor diesem Hintergrund eine nachhaltig solide Finanzpolitik im Euro Raum sicherstellen. Gleichzeitig bieten sie bei regelgerechter Befolgung hinreichenden Spielraum, um flexibel – nämlich über das Wirkenlassen der automatischen Stabilisatoren – auf die Konjunkturschwankungen reagieren zu können.

Der Pakt besteht aus zwei wesentlichen Elementen. Das vorbeugende Element gibt die mittelfristige Orientierung für die Haushaltspolitik vor und unterstützt die konjunkturglättenden Eigenschaften des Budgets. Das korrigierende Element enthält die Mindestanforderungen an die öffentlichen Haushalte, d.h. die Bestimmungen zur Einhaltung der durch den EG Vertrag gesetzten 3% bzw. 60% Defizit- und Schuldengrenzen sowie auf die mittelfristigen Haushaltsziele.

Mit der Revision des Paktes im Jahr 2005 wurden die Regeln zum Teil erheblich aufgeweicht. Die so genannten mittelfristigen Haushaltsziele gestatten im vorbeugenden Teil eine stärkere Berücksichtigung länderspezifischer Faktoren. Außerdem können bei der Beurteilung von Zielabweichungen die fiskalischen Effekte von Strukturreformen berücksichtigt werden. Und im Bereich des Defizitverfahrens können nun ebenfalls strukturelle Reformen (z.B. unter dem Lissabon Prozess) und Reformen der Altersicherungssysteme explizit in die Beurteilung einbezogen werden. Außerdem sind die Kriterien für die Einleitung eines Verfahrens und der Zeitrahmen, innerhalb dessen exzessive Defizite korrigiert werden müssen, flexibler geworden. Der diskretionäre Spielraum für die nationalen Haushaltspolitiken wurde auf diese Weise erheblich ausgeweitet. Nun kommt es darauf an, dass die neuen, weicheren Regeln eng ausgelegt und strikt eingehalten werden. Manche sagen, die Regeln seien nun ökonomisch rationaler. Ich kann nicht erkennen, wo die ökonomische Irrationalität der ursprünglichen Regeln gelegen haben soll. Überzeugende haushaltspolitische Regeln müssen transparent, einfach, konsistent, durchsetzbar und effizient sein. Wenn ich diese Kriterien anlege komme ich zu dem Ergebnis, dass der „alte“ Pakt so schlecht nicht war. Es war letztlich der fehlende politische Wille insbesondere bei großen Mitgliedstaaten, die Regeln einzuhalten und die eingeschränkte Souveränität zu akzeptieren.

Trotz dieser Revision bedeuten die fiskalischen Regeln eine Einschränkung der Souveränität in der Haushaltspolitik. Und im Falle des nachhaltigen Verstoßes gegen die Regeln sind weiterhin Sanktionen möglich.

Soweit zum Ordnungsrahmen der Währungsunion. Die rechtlich-institutionellen Grundlagen bilden nach wie vor im Großen und Ganzen ein solides Fundament für die gemeinsame Währung. Entscheidend bleibt, bei künftigem politischen Handeln die vereinbarten „Spielregeln“ strikt anzuwenden. Dies wird die Voraussetzung für den weiteren Erfolg der Wirtschafts- und Währungsunion und die Stärke ihrer „Klammer“ für Europa sein.

III

Die Erwartungen zu Beginn der EWWU

Beim Start der Wirtschafts- und Währungsunion waren die Erwartungen durchaus gemischt. Es gab optimistische und skeptische Meinungen.

Die Politik wollte mit der gemeinsamen Währung den europäischen Integrationsprozess irreversibel machen. Es wurde erwartet, dass die Wirtschafts- und Währungsunion

  1. den gemeinsamen Binnenmarkt vollendet und der Euro eine stabile und akzeptierte Währung wird,

  2. den Wettbewerb zwischen den Mitgliedstaaten stärkt und den Warenaustausch zwischen den Mitgliedern fördert. Hiervon versprach man sich nicht zuletzt steigenden Anpassungsdruck auch auf die Politik. Man erwartete, dass verkrustete Strukturen auf den Produkt- und Arbeitsmärkten aufgebrochen werden, um die Volkswirtschaften für den intensiveren Wettbewerb fit zu machen. Der Euro wurde als Katalysator für Strukturreformen auf Unternehmens- und politischer Ebene gesehen.

  3. sich zu einem entscheidenden Schrittmacher für die weitere politische und wirtschaftliche Integration in Europa entwickelt (Vehikeltheorie).

Die Erwartungen der Skeptiker lassen sich in folgenden drei Punkten zusammenfassen:

  1. Das Euro-Gebiet ist keine optimale Währungszone, folglich ist eine einheitliche Geldpolitik nicht angemessen,

  2. der Schritt in die Währungsunion ist verfrüht wegen unzureichender Konvergenz,

  3. ohne politische Union wird die Währungsunion langfristig keinen Bestand haben.

Ich werde auf all diese Argumente nicht im Einzelnen eingehen. Um die Währungsunion zu beurteilen muss man auch berücksichtigen, dass acht Jahre im historischen Kontext eine sehr kurze Zeit ist. Lassen Sie mich aber versuchen, folgende Fragen zu beantworten:

  1. Hat der zuvor beschriebene neue Ordnungsrahmen die Erwartungen erfüllt?

  2. Wie haben sich die betroffenen Akteure auf die neuen Regeln eingestellt?

  3. War der Euro Schrittmacher für die weitere politische und wirtschaftliche Integration? Und: Ist die Währungsunion die „Klammer“ der EU?

Mit der einheitlichen Geldpolitik, den gemeinsamen Leitlinien für die nationalen Wirtschaftspolitiken und den Regeln für die Haushaltspolitiken ist die EWWU ein äußerst anspruchsvolles politisches Regime. Es reflektiert sowohl den unterschiedlichen Bereitschaftsgrad der Mitgliedstaaten zur politischen Integration der verschiedenen Politikbereiche als auch die notwendigen ökonomischen Freiheitsgrade in einer Währungsunion auf nationaler Ebene. Auf der einen Seite steht die Währungsunion mit ihrer finalen Integrationsstufe. Auf der anderen Seite steht die Wirtschafts-Union mit fortbestehender, wenn auch eingeschränkter Souveränität in der Wirtschafts- und Haushaltspolitik, als Ausdruck der dezentralen Grundstruktur als Staatengemeinschaft.

Diese Kombination einer zentral-einheitlichen Geldpolitik mit einer dezentral koordinierten Wirtschafts- und Haushaltspolitik der Mitgliedstaaten – oder anders ausgedrückt: die Währung ohne staatliche Einheit – ist jedoch anfällig für Probleme und möglicherweise Konflikte.

IV

Zur ersten Frage

Was hat die Geldpolitik der EZB den Bürgerinnen und Bürgern des Euro-Währungsgebietes gebracht?

Die Geldpolitik der EZB bzw. des Eurosystems war im Rückblick äußerst erfolgreich. Sowohl die Übernahme der geldpolitischen Verantwortung im Euroraum durch die EZB 1999, als auch die Einführung der Gemeinschaftswährung als Zahlungsmittel 2002 verliefen reibungslos. Auch das Zusammenwirken der nationalen Zentralbanken mit der EZB im Eurosystem funktioniert problemlos. Ein großer Erfolg ist die Entpolitisierung und Entnationalisierung der Geldpolitik: der Blick des EZB-Rats gilt dem gesamten Eurogebiet und wird nicht durch die nationale Brille beeinflusst.

Vor allem aber hat die EZB in den letzten acht Jahren ihr vorrangiges Ziel, nämlich Preisstabilität im Euroraum zu gewährleisten, weitgehend erreicht. Im Durchschnitt lag die Inflationsrate im Euro Währungsgebiet seit 1999 bei 2,05% und damit deutlich niedriger als in Deutschland zu Zeiten der D-Mark. Allerdings bin ich nicht damit zufrieden. Denn unsere Definition von Preisstabilität lautet, unter, aber nahe 2%.

Der EZB ist es gelungen, mit ihrer Zwei-Säulen-Strategie, die der monetären Analyse eine herausgehobene Bedeutung zuweist, Reputation aufzubauen und das Vertrauen von Bürgern und internationalen Finanzmärkten zu gewinnen. Das war keineswegs selbstverständlich. Diejenigen, die der EZB diesen Erfolg absprechen oder ihn relativieren, sollten dabei nicht vergessen, dass die EZB als völlig neue Institution 1998 noch keine Erfolgsgeschichte vorweisen konnte und ihre Reputation unter erheblicher Unsicherheit erst langsam aufbauen musste.

Zu den bisherigen Erfolgen der EZB hat ihre geldpolitische Strategie entscheidend beigetragen. In öffentlichen und auch wissenschaftlichen Diskussionen wird dies häufig nicht in vollem Umfang anerkannt. Geht man allein von der Kritik aus, die Teile der akademischen Welt an der Strategie der EZB üben, so könnte man meinen, die EZB habe ihren Auftrag völlig verfehlt. Lassen Sie mich darauf mit rhetorischen Fragen antworten:

  • Gibt es einen besseren Beleg für den Erfolg der Strategie als die von ihr erzielten positiven Ergebnisse?

  • Kann es sich eine Zentralbank mit dem vorrangigen Ziel, Preisstabilität zu gewährleisten, überhaupt leisten, die Entwicklung der Geldmenge nicht besonders aufmerksam zu beobachten?

  • Kann sie sich erlauben, das in der ökonomischen Forschung vielleicht am besten dokumentierte Ergebnis - den langfristigen Zusammenhang zwischen Geldmenge und Preisniveau - einfach zu ignorieren?

Dass die Durchführung der einheitlichen Geldpolitik erfolgreich war, spiegelt sich auch in den langfristigen Inflationserwartungen wieder, die auf einem Niveau verankert wurden, das mit Preisstabilität vereinbar ist. Und dies gelang trotz teilweise widriger Bedingungen, verursacht durch Ölpreisschocks, Platzen von Aktienpreisblasen und den Folgen von Terroranschlägen, also exogenen Schocks auf die eine Zentralbank keinen Einfluss hat. Externe Schocks dieser Art gingen früher in der Regel mit immensen Spannungen sowie ruckartigen Veränderungen im bilateralen Wechselkursgefüge einher. Dies war in den letzten acht Jahren nicht mehr der Fall. Insofern – und damit ist eine Teilantwort auf die im Thema gestellte Frage verbunden – hat die Währungsunion für deren Mitglieder in der Tat wie eine Klammer gewirkt und monetäre und wirtschaftliche Stabilität gefördert. Aber auch die EU Mitgliedstaaten, die an der EWWU nicht teilnehmen, haben profitiert. Der Euro hat aufgrund seiner Ankerfunktion für viele andere EU-Währungen eine positive, stabilisierende Wirkung für die gesamte EU mit sich gebracht.

V

Zur zweiten Frage

Bevor ich auf meine zweite Frage eingehe, möchte ich in drei Punkten die Herausforderungen für die Wirtschaftspolitik erwähnen, die die neuen institutionellen Bedingungen der EWWU mit sich gebracht haben.

  1. Aus der politisch gewollten Währungsintegration ergeben sich Konsequenzen für die Wirtschaftspolitik, die den politisch Handelnden höchstwahrscheinlich so nicht bewusst waren, die aber akzeptiert werden müssen. Mit dem Wegfall des Wechselkurses als Anpassungsventil im Falle externer Schocks und mit einheitlichen Zinsen für das gesamte Währungsgebiet – muss die Politik auf nationaler Ebene den Wegfall dieser „Anpassungskanäle“ gewissermaßen kompensieren. Die Mitgliedstaaten tragen über ihr Verhalten Mitverantwortung für das Funktionieren der EWWU.

  2. Die Koordinierung der Wirtschaftspolitik über die integrierten Leitlinien soll die nationale Wirtschaftspolitik dabei unterstützen und auch Druck ausüben, damit sie den Herausforderungen der Währungsunion gerecht wird. Auf nationaler Ebene sind strukturelle Rigiditäten und institutionelle Ineffizienzen abzubauen, nicht zuletzt um zu verhindern, dass sich Divergenzen in der wirtschaftlichen Entwicklung festsetzen. Denn persistente interne Ungleichgewichte in Leistungsbilanzen und Staatshaushalten können sich für die Währungsunion auf Dauer belastend auswirken.

  3. Eine Zentralbank verfügt grundsätzlich nur über ein politisches Instrument, den kurzfristigen Zins. Den besten Beitrag, den die Geldpolitik zu Wachstum und Beschäftigung leisten kann, ist ihr Mandat wahrzunehmen und Preisstabilität zu gewährleisten. Der Abbau struktureller Verkrustungen das Herbeiführen von mehr Flexibilität in einer Volkswirtschaft ist Sache der Wirtschaftspolitik.

Begrenzte Erfolge der wirtschaftspolitischen Koordinierung

Wie ist nun die wirtschaftspolitische Koordinierung zu beurteilen? Hat sich die Politik auf den neuen institutionellen Rahmen eingestellt? Lassen sie mich zur Beantwortung dieser Frage einen Blick auf die Inflations- und Wachstumsraten im Währungsgebiet werfen.

Wachstums- und Inflationsdifferenzen zwischen den Mitgliedstaaten der EWWU sind zwar auf der einen Seite natürlich und auch wünschenswert. In der unterschiedlichen wirtschaftlichen Entwicklung der Euro-Mitgliedstaaten können sich beispielsweise notwendige Aufholprozesse, unterschiedliche demographische Trends oder auch vorübergehende Anpassungen an exogene Schocks widerspiegeln. Die aktuellen Wachstums- und Inflationsdifferenzen im Eurogebiet sind weder historisch gesehen noch im Vergleich zu anderen großen Währungsunionen, wie beispielsweise den USA, als groß zu bezeichnen.

Problematisch wird es jedoch, wenn sich diese Unterschiede in der Währungsunion verhärten, sich im Zeitablauf nicht abbauen. Dann stellt sich die Frage: Trägt die nationale Wirtschaftspolitik den Bedingungen der Währungsunion Rechnung? Reagiert sie adäquat auf strukturelle und/oder institutionelle Schwächen, um die Anpassungsfähigkeit der betreffenden Volkswirtschaft zu verbessern?

Was die Inflationsdivergenzen betrifft, so haben sich diese im Zuge des Konvergenzprozesses im Vorfeld der EWWU spürbar vermindert. Seitdem haben sich allerdings die Unterschiede in den Inflationsraten nicht weiter abgebaut. Vielmehr ist eine gewisse Persistenz zu verzeichnen. Nur wenigen Mitgliedstaaten mit überdurchschnittlich hohen Inflationsraten ist es gelungen, ihre Performance zu verbessern.

Für die unterschiedlichen Inflationstrends im Euroraum sind weniger asymmetrische Einflüsse von Seiten der Preise für Importgüter verantwortlich als die ungleiche Entwicklung heimischer Komponenten des Verbraucherpreisindex. Letztere haben insbesondere in den anhaltend unterschiedlichen Entwicklungen der Lohnstückkosten und Gewinnspannen der Unternehmen ihre Ursache.

Viel spricht dafür, dass die anhaltenden Divergenzen in den Gewinnspannen mit Marktsegmentierungen im Zusammenhang stehen, also auf Defizite des Binnenmarktes zurückzuführen sind. Und wir müssen in der Tat feststellen, dass es auf diesem Gebiet Nachholbedarf gibt. Von einem einheitlichen Binnenmarkt für alle Sektoren kann noch nicht die Rede sein.

Wie gesagt: Bedeutender für die unterschiedlichen Inflationsraten sind auseinander laufende Trends in der Lohnstückkosten­entwicklung, die vor allem auf unterschiedliche Lohnentwicklungen zurückzuführen sind. Während einige Mitgliedsländer auf hohe Arbeitslosenzahlen und auf Verluste in der internationalen Wettbewerbsfähigkeit mit Lohnzurückhaltung reagiert haben, haben andere Länder noch nicht die entsprechenden Konsequenzen gezogen und mit zu hohen Lohnabschlüssen internationale Konkurrenzfähigkeit eingebüßt.

Anhaltende Verhärtungen sind auch in den Trends der wirtschaftlichen Wachstumsraten der Euroländer auszumachen. Einzelne Länder haben eine Überhitzung erlebt, andere nur unterdurchschnittliches Wachstum. Um die Ursachen für diese Divergenzen aufzudecken, ist es hilfreich, das Produktionswachstum in seine angebotsseitigen Faktoren zu zerlegen: in die demographische Entwicklung, in den Arbeitseinsatz und in die Arbeitsproduktivität.

Die Analyse dieser Komponenten zeigt, dass demographische Entwicklungen für die unterschiedlichen Wachstumstrends eine gewisse Rolle spielen. Einige schneller wachsende Euroländer haben von strukturellen Änderungen in ihrer Bevölkerungsstruktur profitiert, beispielsweise von der Immigration, während unterdurchschnittlich wachsende Länder negativ tangiert waren. Pro Kopf gerechnet waren daher die Wachstumsunterschiede im Euroraum etwas niedriger.

Eine wichtige Rolle für die unterschiedlichen Wachstumstrends spielen außerdem unterschiedliche Entwicklungen in der Arbeitsproduktivität. Empirisch gesehen hat vor allem ein hoher Regulierungsgrad auf den nationalen Produkt- und Arbeitsmärkten negative Auswirkungen auf die Arbeitsproduktivität gehabt.

Verantwortlich für die unterschiedlichen Wachstumstrends sind des weiteren Unterschiede in den nationalen Beschäftigungsquoten und Arbeitszeiten. Studien zeigen, dass diese Größen maßgeblich von den Arbeitsanreizen beeinflusst werden. Hohes Arbeitslosengeld, hohe steuerliche Belastung der Einkommen und Anreize zur vorzeitigen Ruhestand haben beim Rückgang der Beschäftigungsquote in einigen Euroländern eine wichtige Rolle gespielt.

Die strukturellen und institutionellen Ursachen peristenter Wachstums- und Inflationsdivergenzen offenbaren politischen Handlungsbedarf für die nationale Wirtschaftspolitik. Wie sieht die Bilanz der wirtschaftspolitischen Koordination in den einzelnen Politikbereichen aus?

Auf dem Gebiet der Strukturreformen wurden Fortschritte erzielt. Es gibt jedoch große Unterschiede zwischen den einzelnen Ländern und Politikfeldern. Gewisse Fortschritte gab es beispielsweise bei der Deregulierung von Netzwerkindustrien (Telekommunikation, Luftverkehr, Energiemärkte). Trotzdem bleibt die Durchsetzung von Wettbewerb auf diesem Gebiet – auch aufgrund wieder erstarkender nationaler Interessen oder des „wirtschaftlichen Patriotismus“ – teilweise noch schwierig, dies gilt insbesondere für die Energiemärkte.

Auch die Vollendung des Binnenmarktes lässt noch zu wünschen übrig. Weil die Mitgliedstaaten die Binnenmarkt­richtlinien noch nicht vollständig umgesetzt haben, bleiben große Potentiale ungenutzt. Rückstände bei der Integration weist insbesondere der Dienstleistungssektor auf. Problematisch gestaltet sich dabei auch die nach wie vor unvollständige Öffnung der Arbeitsmärkte nach dem EU-Beitritt der zehn neuen Mitgliedstaaten am 1. Mai 2004. So haben zwar in den vergangenen Monaten weitere EU-Staaten ihre bestehenden Restriktionen hinsichtlich der Arbeitskräftemobilität gegenüber den neuen Mitgliedstaaten beseitigt bzw. gelockert, doch werden andere diese vorerst beibehalten.

Die Bilanz der Fiskalpolitik nach acht Jahren Währungsunion ist ebenfalls durchwachsen. Auf der einen Seite haben sich die sehr hohen und destabilisierenden Defizite, die wir in den Achtzigern und Neunzigern in einigen Ländern der jetzigen Währungsunion beobachten konnten, nach 1999 nicht wiederholt. In manchen Ländern sind die Haushaltsungleichgewichte und Schuldenstände gesunken, zum Teil sogar recht erheblich. Und Fortschritte gab es auch bei der notwendigen Reform der Alterssicherungssysteme.

Gleichwohl gibt es Anlass zur Sorge. In einigen Ländern der Währungsunion erfüllen die Staatsfinanzen die erwähnten Bedingungen aktuell nicht. Und auch in Ländern, in denen die Budgetkonsolidierung gute Fortschritte gemacht hat, ist dies zu einem nicht geringen Teil den günstigen konjunkturellen Bedingungen und nicht etwa ehrgeizigen strukturellen fiskalischen Reformen zu verdanken. Nun rächt sich, dass in Zeiten besserer Konjunktur keine nachhaltigen Konsolidierungsanstrengungen unternommen worden sind.

In über der Hälfte der Länder des Euroraums gibt es deshalb noch immer Haushaltsungleichgewichte. Fünf davon, unter ihnen die drei größten Länder, planen, ihre mittelfristigen Haushaltsziele erst mit dem Beginn der nächsten Dekade zu erreichen. Für den Euroraum als ganzes heißt das, dass Haushaltsungleichgewichte über die jetzige Aufschwungphase nicht vollständig abgebaut werden und der durchschnittliche Schuldenstand über 60% des BIP bleibt. Das ist eine große Bürde und birgt erhebliche Risiken für die Zukunft, insbesondere wenn man bedenkt, dass durch die rasch alternde Bevölkerung bald noch weitere Belastungen entstehen werden.

In dieser Situation kann eine Begrenzung und Neuausrichtung der Staatsausgaben einen wichtigen Beitrag zur Stärkung von Stabilität und Wachstumsdynamik im Währungsraum leisten. Jedoch erfordert dies von den politischen Entscheidungsträgern, die Besinnung auf die wirklich wesentlichen Aufgaben des Staates. Ich vermisse eine ernsthafte Auseinandersetzung mit diesem Thema.

Die andere wesentliche Herausforderung im Bereich der nationalen Fiskalpolitiken liegt in der Umsetzung der EU Regeln auf der nationalen Ebene. Benötigt werden nationale Fiskalregeln, die die Umsetzung des Stabilitäts- und Wachstumspakts auch auf regionaler und lokaler Ebene fördern, um die Fiskaldisziplin insgesamt stärken.

V

Zur dritten Frage

Nun komme ich zu meiner dritten Frage: War der Euro ein Schrittmacher für die weitere politische und wirtschaftliche Integration? Wo stehen wir also heute in der EU, acht Jahre nachdem der Euro eingeführt worden ist? Ist die Währungsunion die Klammer der EU? Ich möchte mit vier Punkten antworten:

  1. Die Wirtschafts- und Währungsunion und der gemeinsame Binnenmarkt haben die EU ohne Zweifel vorangebracht. Die Märkte haben sich vertieft und die grenzüberschreitende wirtschaftliche Verflechtung hat sich beträchtlich erhöht. Dies hat wachstums- und wohlstandsfördernd gewirkt, auch wenn es schwierig ist, die Effekte genau zu quantifizieren. Insbesondere hat der Euro die Integration der Finanzmärkte im Euroraum vorangetrieben. Die größten Fortschritte sind dabei in den Marktsegmenten zu verzeichnen, die der Geldpolitik am nächsten sind, d.h. vor allem im Geldmarkt. Die rasche Integration wurde nicht zuletzt auch von der Schaffung einer europäischen Zahlungsverkehrsinfrastruktur (Target-System) befördert. In anderen Marktsegmenten besteht dagegen noch weiteres Integrationspotential.

  2. Wir beobachten, dass nach dem Start der 3. Stufe bei vielen Regierungen eine gewisse Reformermüdung zu verzeichnen war. Anpassungen an die veränderten Bedingungen der Währungsunion wurden nur zögernd vollzogen, zumindest jedoch in sehr unterschiedlichem Maße und in unterschiedlicher Geschwindigkeit. Kleine Mitgliedstaaten haben sich vielfach als anpassungsfähiger erwiesen, etwa was die Haushaltspolitik angeht, als größere. Außerdem hat sich der Unternehmenssektor in einigen Ländern flexibler gezeigt als die Politik. Hinzu kommt, dass nationale Interessen häufig intensiveren wirtschaftlichen Verflechtungen entgegenstehen. Dies ist nicht vereinbar mit dem Binnenmarktprinzip. Es ist auch interessant festzustellen, dass gerade Länder, die die notwendigen Anpassungen versäumt haben, heute besondere Kritiker der EZB sind.

  3. Eine weitere Integration in anderen Politikbereichen hat ungeachtet gemeinsamer Institutionen bisher nicht stattgefunden. Die EWWU war also bislang keine treibende Kraft bei der Vertiefung der Integration in anderen Politikbereichen. Allerdings wurden die Integrationsimpulse, die man vom Euro erwartete, von der Erweiterung der Europäischen Union überlagert. Es hat also keinen Automatismus von einem Integrationsschritt zum nächsten gegeben. Die nicht erfolgte Vertiefung der Integration ist auch Kennzeichen des politischen Paradigmenwechsels in der EU hin zur Erweiterung.

  4. Allerdings reflektiert die Währungsunion einen wichtigen Aspekt eines Europas verschiedener Geschwindigkeiten. Bei der Währungsunion sprechen wir von „Union“, sie stellt den höchsten Integrationsgrad dar, die als eine „Klammer“ für die EU insgesamt wirkt. Wir sprechen von „gemeinsamer Außen- und Sicherheitspolitik“ und von der „Zusammenarbeit im Bereich der Innen- und Rechtspolitik“. Es stehen sich also weiterhin vergemeinschaftete Ansätze und intergouvernementale Ansätze gegenüber. Den Kern bilden die Euro-Staaten mit der „Klammer“ der gemeinsamen Währung, umgeben von den Teilnehmerländern am Wechselkursmechanismus und von den anderen Mitgliedern der EU, von denen zwei ein opting-out-Recht haben. Da es Mitgliedstaaten gibt, die entweder den Euro nicht einführen wollen (opt out) oder sich für die Einführung nicht qualifizieren, sollte es kein Hindernis für die Mitglieder des Eurogebiets sein, womöglich die Integration weiter voran zu treiben.

VI

Schlussbemerkungen

Wie lautet nun mein Fazit? Wie ist die Frage zu beantworten, die eingangs gestellt worden ist: Ist die EWWU eine Klammer der EU? Ich möchte mit einem differenzierten Resumeé schließen. Fünf Punkte sind mir wichtig:

  1. Die Durchführung der einheitlichen Geldpolitik der EZB auf Basis der Zwei-Säulen Strategie erwies sich als sehr erfolgreich. Es wurde ein Stabilitätsniveau erreicht, wie es zuvor nicht verzeichnet worden war und wie es die Euro-Skeptiker nicht für möglich gehalten haben. Das Euro-Gebiet ist heute der „Kern“ Europas und der Euro ein Anker der Stabilität und für andere Währungen.Die EZB ist als Institution akzeptiert und genießt einen hohen Vertrauensgrad, auch wenn es immer wieder Kritik an ihr gibt. Diese Kritik können wir aushalten

  2. Die jüngste Kritik an der EZB und Forderungen, nicht „nur“ Preisstabilität zu garantieren, sondern auch für mehr Wachstum und Beschäftigung zu sorgen und dazu auch eine aktive Steuerung der Wechselkurse zu betreiben, ist im Eurogebiet ohne politische und öffentliche Unterstützung geblieben. Sowohl von europäischen Regierungen als auch in den Medien wurde betont, die Politik der EZB ist nicht verantwortlich für die wirtschaftlichen Probleme einiger Länder. Deren Kritik an der EZB ist wiederum Reflex einer ungenügenden wirtschaftlichen Anpassung an die Bedingungen der WWU.Dennoch darf man nicht verkennen, dass ein Teil der Kritik an der EZB fundamentaler Natur ist, die auf die Unabhängigkeit der EZB und auf ihr Mandat zielt. Preisstabilität – das ist das Mandat von Maastricht – kann nur von einer von der Politik unabhängigen Zentralbank gewährleistet werden. Das ist und bleibt der Kern des neuen währungspolitischen Ordnungsrahmens für Europa und die Geschäftsgrundlage für die europäische Währungsunion.

  3. Die wirtschaftspolitische Koordinierung, wie sie von politischer Seite im EGV verankert ist, mit ihrer weichen Regelbindung für die nationalen Wirtschaftspolitiken, erwies sich bisher als weniger wirksam. Eine bedeutende Rolle als Katalysator für Strukturreformen in der EWWU hat sie bislang nicht gespielt. Mit anderen Worten: Die nationalen Wirtschaftspolitiken werden der gestiegenen Verantwortung, die sich aus der EWWU mit dem Wegfall des Wechselkurspuffers und dem einheitlichen Zinsniveau ergibt, noch nicht gerecht. Die EWWU erfordert mehr als nur flexible Arbeits- und Gütermärkte. Es geht auch um die Berücksichtigung regionaler, sektoraler und betrieblicher Besonderheiten bei der Lohnfindung, es geht vor allem auch um die vollständige Nutzung der Vorteile des Binnenmarktes (Dienstleistungen). Was die Rolle des Euro als Schrittmacher für eine vertiefte Integration der Märkte angeht, so hat er die Finanzmarktintegration entscheidend gefördert. Die so genannte Lissabon Agenda hat zwar das öffentliche Bewusstsein für die Notwendigkeit grundlegender Strukturreformen geschärft. Allerdings werden die ersten Erfolge nur langsam sichtbar. Grundsätzlich bedarf es auf Seiten der Strukturpolitik größerer Anstrengungen, um die Anpassungsfähigkeit in der EWWU zu verbessern. Wenn strukturelle Schwächen konsequent missachtet werden, führt das zu einer Verfestigung ungleichgewichtiger Entwicklungen zwischen den einzelnen Mitgliedstaaten, die auf Dauer das Funktionieren der Währungsunion belasten können.

  4. Der Stabilitäts- und Wachstumspakt stellt eine entscheidende Voraussetzung für den Erfolg der Währungsunion dar. Die Bilanz des EU Rahmenwerks für die Koordination der Fiskalpolitik ist gemischt. Der gegenwärtig günstigen Konjunkturlage ist es insbesondere zuzuschreiben, dass in einigen Mitgliedstaaten gewisse Konsolidierungserfolge verzeichnet werden können. Trotzdem werden einige Länder ihre Ziele auf eine längerfristige, strukturelle Verbesserung der Einnahmen und Ausgaben verfehlen. In einigen Mitgliedsländern ist eine ernsthafte Rückbesinnung auf die zentralen Aufgaben des Staates erforderlich, um die Nachhaltigkeit ihrer Staatshaushalte zu gewährleisten. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund der demographischen Entwicklungen. Überzeugende und strikte nationale Haushaltsregeln sind notwendig, um die Haushalte auf regionaler Ebene ebenfalls in die Haushaltsdisziplin einzubinden.

  5. Die Rolle der EWWU als möglicher Schrittmacher für eine vertiefte politische Integration ist durch andere Entwicklungen überlagert wurden. Es hat einen politischen Paradigmenwechsel in der EU hin zur Erweiterung der EU gegeben. Im Vorfeld wurde argumentiert, dass die sich durch den Euro ergebenden Sachzwänge helfen können, nationale Widerstände gegen die politische Integration zu überwinden. Es besteht jedoch offensichtlich kein Automatismus. Der politische Wille dafür muss vorhanden sein. Dies bestätigen schon frühere Integrationserfahrungen. Alfred Müller-Armack äußerte sich skeptisch, als er in seinen Erinnerungen 1971 resümierte: „die Hoffnung, wirtschaftliche Integration würde schon als solche zu einem politischen Zusammenwachsen der Länder führen, hat sich nicht erfüllt ... Wer die politische Union will, muss sie, wie ich glaube, direkt angehen.“ [1]

  1. [1] Alfred Müller-Armack: Auf dem Weg nach Europa, Erinnerungen und Ausblicke, Tübingen, S. 41.

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