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Die internationale Rolle des Euro

Vortrag von Dr. Willem F. Duisenberg, Präsident der Europäischen Zentralbank, am Donnerstag, 22. Oktober 1998 bei der Konrad-Adenauer-Stiftung, Berlin

Die Einführung des Euro stellt sicherlich die weitestreichende Veränderung des internationalen Währungsgefüges seit dem Zusammenbruch des Systems von Bretton Woods im Jahre 1973 dar. Es ist daher verständlich, daß die Frage, welche Rolle der Euro künftig als internationale Währung übernehmen wird, auf reges Interesse stößt. Gleiches gilt für die Frage, wie sich diese Rolle nicht zuletzt auf die Geldpolitik des Europäischen Systems der Zentralbanken (ESZB), d.h. der Europä-ischen Zentralbank (EZB) und der nationalen Zentralbanken der dem Euro-Währungsgebiet angehö-renden Mitgliedstaaten, auswirken wird. In meinem Vortrag heute Abend werde ich versuchen, diese Fragen näher zu beleuchten, indem ich auf die voraussichtliche Bedeutung des Euro als Reserve-medium und international verwendete Währung eingehe, den Zusammenhang mit der Geld- und Wechselkurspolitik des ESZB erläutere sowie eine Reihe von speziellen Fragen anspreche, die sich daraus für die Politik ergeben, und die Auswirkungen auf das internationale Währungsgefüge darlege. Grundsätzlich bin ich davon überzeugt, daß der Euro aufgrund der Verwirklichung der Währungs-union weltweit von größerer Bedeutung sein wird als die einzelnen Währungen, aus denen er sich zusammensetzen wird. Das ESZB wird sich der Verantwortung stellen, die sich aus dieser Entwicklung ergibt: Sein Beitrag zur internationalen Debatte über die Ausrichtung der Politik wird von der Tatsache geprägt, daß sein vorrangiges Ziel darin besteht, die Preisstabilität im Euro-Währungsgebiet zu gewährleisten, und zugleich die Überzeugung widerspiegeln, daß die Erreichung dieses Ziels langfristig der beste Beitrag ist, den sie zur Stabilität der internationalen Entwicklung leisten kann.

1. Der Euro als Reservewährung

Die Entwicklung des Euro als internationale Währung läßt sich mit verschiedenen Geldfunktionen verbinden, und zwar insbesondere mit der als Wertaufbewahrungsmittel und der als Transaktions-währung. Ein Faktor, der die internationale Rolle des Euro bestimmen wird, ist das Ausmaß, in dem er von den Notenbanken zunehmend als Reservewährung (also als Wertaufbewahrungsmittel) und als Interventionswährung (also als Transaktionswährung) verwendet wird. Zur Zeit ist der US-Dollar die weltweit mit Abstand wichtigste Reservewährung. Ende 1996 hatte der US-Dollar einen Anteil von 64 % an den Notenbankreserven, während sich die entsprechenden Anteile der Währungen der am Euro-Währungsgebiet teilnehmenden Länder und des japanischen Yen auf 25 % bzw. 6 % beliefen.

Im Hinblick auf den künftigen Anteil des Euro an den Notenbankreserven kann man wohl davon ausgehen, daß die Zentralbanken der nicht dem Euro-Währungsgebiet angehörenden Staaten ihre Reservehaltungsstrategien im Lichte der Möglichkeit überdenken werden, die globale Diversifizierung ihrer Anlageportefeuilles durch die Haltung eines größeren Anteils auf diese neue Währung lautender Anlagen zu verbessern. Besondere Bedeutung als Reservewährung wird der Euro in jenen anderen Ländern Europas erlangen, die beabsichtigen, den Wechselkurs ihrer jeweiligen Währung formell oder informell an den Euro oder an einen (nach Außenhandelsvolumen gewichteten) Währungskorb anzubinden, der den Euro als wichtige Komponente einschließt. Dies könnte nicht nur für Staaten gelten, die am neuen europäischen Wechselkursmechanismus (WKM II) teilnehmen, sondern auch für potentielle Beitrittsländer in Mittel- und Osteuropa sowie möglicherweise für nicht der Europäischen Union angehörende Mittelmeerländer sowie für die Schweiz und für Norwegen. Auch der Anteil des Euro an den Währungsreserven asiatischer Zentralbanken, die derzeit vornehmlich US-Dollar um-fassen, könnte in Zukunft zunehmen. Ob und inwieweit dies geschehen wird, hängt jedoch maßgeblich vom Vertrauen in die Geldpolitik des ESZB und von der Stabilität des Euro ab.

In bezug auf die Reservehaltung der Notenbanken innerhalb des künftigen Euro-Währungsgebiets wird behauptet, daß die Einführung des Euro zu einem sog. “Reserveüberhang” in Europa führen wird. Im Gegensatz dazu steht die Tatsache, daß der Anteil des Euro an den Fremdwährungsreserven der an der Währungsunion teilnehmenden Notenbanken automatisch schrumpfen wird, weil die vormals in D-Mark gehaltenen Reserven einiger EU-Mitgliedstaaten “inländische Euro-Forderungen” werden. Als Hauptargument wird angeführt, daß das Euro-Währungsgebiet nach Außen weniger offen sein wird als die einzelnen, künftig daran teilnehmenden Volkswirtschaften. Deshalb, so heißt es, müßte der auf Grundlage der künftigen Ausfuhren des Euro-Währungsgebiets ermittelte Bedarf an Notenbankreserven deutlich zurückgehen. Diese Argumentation möchte ich zwar nicht völlig von der Hand weisen, ich bin aber der Ansicht, daß das von den Zentralbanken als angemessen erachtete Niveau ihrer Reserven von weit mehr Faktoren abhängt. Die Verflechtung im Finanzbereich beispielsweise und auch die Leichtigkeit, mit der institutionelle Anleger heute in kurzer Zeit größte Summen mobilisieren können, haben das für wirksame Interventionen notwendige Reservehaltungsniveau erhöht. Reserven sind unter Umständen auch für gegebenenfalls vereinbarte konzertierte Interven-tionen erforderlich, und beträchtliche Reserven haben eine “vertrauensbildende” Wirkung. Angesichts der zu Beginn der dritten Stufe der Wirtschafts- und Währungsunion (WWU) gegebenen Unsicherheiten sollte in dieser Hinsicht wohl eher nach dem Motto “Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste” gehandelt werden.

Ich möchte hervorheben, daß Fragen zur Verwaltung der Reserven im Hinblick auf die künftige Rolle des Euro zwar viel Aufmerksamkeit geschenkt wird, daß die voraussichtliche Internationalisierung des Euro meines Erachtens aber vornehmlich von privaten Portefeuilleentscheidungen und der möglichen Verwendung des Euro als Transaktionswährung bestimmt wird. Ich möchte mich nun genau diesen Themenbereichen zuwenden.

2. Der Euro als internationale Anlagewährung

Wie im Falle der Fremdwährungsreserven der Notenbanken ist der US-Dollar derzeit die wichtigste Anlagewährung am weltweiten Kapitalmarkt, obgleich sich bereits abzeichnet, daß seine Bedeutung als Wertaufbewahrungsmittel für private Anleger etwas zurückgeht. Ende Juni 1998 lag der Anteil des US-Dollar am Gesamtvolumen internationaler Anleihen und Schuldtitel mit 46 % deutlich vor dem des japanischen Yen (11 %) und dem der D-Mark (10 %), während sich der entsprechende Anteil aller Währungen der dem Euro-Währungsgebiet angehörenden Staaten zusammengenommen auf 24 % belief. Ein ähnliches Bild ergibt sich bei der Währungsstruktur internationaler Bankforderungen und -verbindlichkeiten. Die Tatsache, daß der Verwendungsanteil des US-Dollar bereits vor Beginn der dritten Stufe der WWU zurückgegangen ist, ist andererseits daraus ersichtlich, daß sich der Anteil der EU-Währungen am weltweiten Bestand privater Anlageportefeuilles zwischen 1981 und 1995 von 13 % auf 37 % erhöht hat, während der des US-Dollar von 67 % auf 40 % geschrumpft ist.

Es gibt gute Gründe für die Annahme, daß private Investoren im Rahmen ihrer Anlageportefeuilles künftig einen größeren Anteil Euro-Anlagen halten werden, als sie dies bisher mit Anlagen in darin aufgehenden Währungen getan haben. Einer der wichtigsten Faktoren, der die potentielle Attraktivität des Euro als Anlagewährung mitbestimmen wird, ist das Entstehen eines großen, integrierten Finanzmarkts innerhalb des Euro-Währungsgebiets. Denn die Einführung des Euro beseitigt jegliche währungsbedingte Zerstückelung im Euro-Währungsgebiet und fördert die Schaffung einheitlicher Marktstandards. Diese Integration dürfte sich vorteilhaft auf die Marktliquidität auswirken und wird somit einen sich selbst verstärkenden Prozeß der zunehmenden Emission von und Investition in Euro-Anlagen seitens inländischer und ausländischer Institutionen in Gang setzen. Die Voraussetzungen für die Schaffung eines breiten, tiefen und liquiden europäischen Geldmarkts sind wohl gegeben, insbe-sondere am kurzen Ende der Zinsertragskurve. Der Handlungsrahmen für die Geldpolitik mit den auf Wertpapierpensionsgeschäf-ten beruhenden Offenmarktoperationen als wichtigstes geldpolitisches Instrument wird die Integration des Geldmarkts fördern. Unterstützt wird die Integration zudem durch das TARGET-System, das sich aus den miteinander verbundenen Echtzeit-Bruttoabrechnungs-systemen (RTGS-Systemen) der am Euro-Währungsgebiet teilnehmenden Mitgliedstaaten zusammen-setzt. Dies wird gewährleisten, daß der Zinssatz für besicherte Übernachtkredite im gesamten Euro-Währungsgebiet einheitlich ist, und sowohl eine reibungslose Abrechnung des grenzüberschreitenden Zahlungsverkehrs im Euro-Währungsgebiet sicherstellen als auch die Systemrisiken bei möglichen Deckungslücken im Rahmen der Abrechnung verringern. Das TARGET-System wird auch den Banken in nicht am Euro-Währungsgebiet teilnehmenden Mitgliedstaaten zur Verfügung stehen, und zwar zum Austausch von Innertagesliquidität, allerdings nur unter strengen Auflagen.

Die Einführung des Euro dürfte sich auch auf die Rentenmärkte positiv auswirken, und zwar durch die Erhöhung der Marktliquidität, durch die Ausweitung des Laufzeitspektrums und möglicherweise auch durch eine größere Vielfalt an angebotenen Finanzprodukten. Dennoch dürfte die Fragmentierung am Kapitalmarkt am langen Ende der Zinsertragskurve trotz der ab dem 1. Januar 1999 vorgesehenen Neudenominierung ausstehender Staatsanleihen in Euro zunächst ausgeprägter bleiben als am kurzen Ende. Das Zinsgefälle zwischen Staatsanleihen in Euro wird voraussichtlich über den Beginn der dritten Stufe der WWU hinaus fortbestehen. Es wird zum Beispiel die unterschiedliche Kreditwürdig-keit widerspiegeln. Diese wird vor allem auf Basis der Einschätzung der Haushaltslage unter Einbe-ziehung künftiger Versorgungsverpflichtungen im Rahmen der Sozialversicherung des jeweiligen am Euro-Währungsgebiet teilnehmenden Mitgliedstaates erfolgen und dem Markt ein entsprechendes Signal geben. Darüber hinaus bedeuten unterschiedliche nationale Emissionsverfahren, Marktpraktiken und -absprachen sowie Unterschiede bei der Besteuerung, daß einige Zeit vergehen könnte, ehe der Euro-Anleihemarkt die gleiche Homogenität erreicht wie zum Beispiel der US-Anleihemarkt.

In der Zwischenzeit könnte die zunehmende Integration sowohl am Geldmarkt als auch der Märkte für Staatsanleihen das Entstehen eines Marktes für “Commercial Paper” und Firmenanleihen im Euro-Währungsgebiet fördern. Referenzwerte für Staatsanleihen oder Swapsätze, zunehmende Größen-vorteile, geringere Geld-Brief-Spannen und niedrigere Absicherungskosten für Schuldtitel privater Emittenten sowie mehr Wettbewerb im Bereich der Emissionsübernahme werden Unternehmen voraussichtlich Anreize bieten, eigene Anleihen auszugeben statt Bankkredite aufzunehmen, während Investoren auf der Suche nach höheren Renditen solche Anleihen attraktiv finden dürften. Mit der Zeit könnten sich Aktienemissionen und der Börsenhandel ebenfalls auf das gesamte Euro-Währungsgebiet erstrecken. Analog dazu könnte es im Einlagenbereich dazu kommen, daß ein schnell wachsender Markt für private Wertpapierpensionsgeschäfte oder Geldmarktfonds Großanlegern wie zum Beispiel Pensionsfonds und Versicherungsgesellschaften eine ernstzunehmende Alternative für traditionelle Bankeinlagen bietet. Die Entwicklung solcher neuer Marktsegmente dürfte auch für internationale Anleger und Kreditnehmer interessant sein.

Weitere Faktoren, die das Ausmaß der internationalen Verwendung des Euro beeinflussen werden, sind die damit verbundenen Risiken, die Rendite und die Diversifizierungsmöglichkeiten. Ein Aspekt dabei ist die Attraktivität der realen, risikobereinigten Rendite, die der Euro internationalen Anlegern und Kreditnehmern außerhalb der EU bietet. Die Attraktivität eines solchen Risiko-Rendite-Profils dürfte sowohl durch stabilitätsorientierte Geld- und Finanzpolitiken als auch durch die Unabhängigkeit des ESZB, die Anleger vor Kaufkraftverlusten schützen, erhöht werden. Inwieweit der Euro größere oder geringere Diversifizierungsmöglichkeiten bieten wird, als in der zweiten Stufe der WWU geboten wurden, ist sehr schwierig abzuschätzen, da dies sowohl von der Varianz als auch von der Kovarianz der Rendite auf Anlagen in Euro und in anderen Währungen abhängt. Einerseits könnte die Währungs-union zu einer stärkeren Entkoppelung der Euro-Renditen von den Renditen in den Vereinigten Staaten führen, womit eine größere Diversifizierung möglich würde. Andererseits läßt sich auch begründen, daß der Wegfall der Zuschläge für Wechselkursrisiken und die Durchführung einer einheitlichen Geldpolitik voraussicht-lich dazu führen wird, daß Anlegern in Anleihen der am Euro-Währungsgebiet teilnehmenden Staaten weniger Diversifizierungsmöglichkeiten als derzeit haben werden. Bei Ländern, deren Wechselkurse über längere Zeit stabil geblieben sind, könnte dieser Verlust an Diversifizierungsmöglichkeiten größtenteils bereits eingetreten sein. A priori läßt sich nur schwer abschätzen, welche Auswirkungen diese Faktoren auf die Nachfrage nach Euro-Anlagen haben werden.

3. Der Euro als Transaktions- und Vehikelwährung

Die Internationalisierung der Verwendung des Euro wird zudem davon bestimmt, inwieweit er sich zu einer Transaktions- und Vehikelwährung im grenzüberschreitenden Zahlungsverkehr außerhalb des Euro-Währungsgebiets entwickelt. Die derzeit wichtigste Transaktions- und Vehikelwährung ist der US-Dollar. Auf den Devisenmärkten ist bei 71 % aller Kassatransaktionen der US-Dollar auf der einen Seite beteiligt, während sich die entsprechenden Anteile der am Euro-Währungsgebiet teilnehmenden Währungen, des japanischen Yen und der sonstiger Währungen jeweils auf 68 %, 22 % bzw. 39 % belaufen. Der Anteil des US-Dollar steigt beträchtlich, nämlich auf über 80 %, wenn auch Derivatgeschäfte einbezogen werden. Bei der Rechnungsstellung im internationalen Handel deuten Schätzungen darauf hin, daß etwa die Hälfte der weltweiten Ausfuhrrechnungen in den frühen neunziger Jahren in US-Dollar gestellt wurden, während etwa ein Drittel auf Währungen lautete, die am Euro-Währungsgebiet teilnehmen, und nur 5 % in japanischen Yen gestellt wurden.

Nach der Einführung des Euro wird es zunächst zu einer “automatischen” Rückführung sowohl des Anteils des Euro-Währungsgebiets an den Devisenmarkttransaktionen als auch seines Anteils am Außenhandel kommen, und zwar rein rechnerisch als Folge der Ausklammerung des Handels innerhalb des Euro-Währungsgebiets, dessen Anteil am gesamten Außenhandel der künftig am Euro-Währungsgebiet teil-nehmenden Länder mehr als 60 % beträgt. Im Bereich der Rechnungsstellung könnte der Marktanteil des Euro-Währungsgebiets auf etwa 20 % zurückgehen, und der entsprechende Anteil bei den Kassa-Devisenmarktgeschäften könnte auf 56 % schrumpfen. Insbesondere beim Handel wird der erwartete Rückgang wohl nur von kurzer Dauer sein. Auf mittlere Sicht wird dieser Rückgang voraussichtlich ausgeglichen werden, und zwar durch die Zunahme sowohl des inter-nationalen Handels zwischen den Staaten des Euro-Währungsgebiets und anderen Ländern als auch der in Euro abgewickelten Handelsgeschäfte von Gebietsfremden. In diesem Zusammenhang sind Presseberichte interessant, nach denen einige Unternehmen in Dänemark, Schweden, dem Vereinigten Königreich und der Schweiz ­ alles Staaten, die nicht am Euro-Währungsgebiet teilnehmen ­ erwägen, ihre Geschäftsabwicklung ganz oder teilweise auf den Euro umzustellen.

Auf globaler Ebene wird dennoch einige Zeit vergehen müssen, ehe der Euro eine Stellung als Vehikelwährung erlangt, die mit der des US-Dollar vergleichbar ist. Dabei ist zu berücksichtigen, daß sich der Gesamtwert des in US-Dollar abgewickelten internationalen Handels auf fast das Vierfache der Ausfuhren der Vereinigten Staaten beläuft. Dieses Verhältnis zeigt deutlich, daß die Verwendung des US-Dollar als Transaktionswährung auf den Waren- und Finanzmärkten weniger mit den Geschäftsanteilen als mit den Annehmlichkeiten der Verwendung einer einzigen Standardwährung zusammenhängt. In anderen Worten ausgedrückt: Es gibt Größenvorteile. In dieser Hinsicht sollte man sich vergegenwärtigen, daß einige Jahrzehnte vergangen sind, ehe der US-Dollar, die Währung der seit dem Ende des letzten Jahrhunderts weltweit größten Volkswirtschaft, an die Stelle des Pfund Sterling als wichtigste Vehikelwährung trat. Das Pfund Sterling fungierte somit noch einige Zeit als Standard, obwohl das wirtschaftliche und handelsbezogene Gewicht des Vereinigten Königreichs zurückging.

4. Der Euro, die Wechselkurspolitik und die Geldpolitik

Meine bisherigen Ausführungen deuten darauf hin, daß sich der Euro in der Tat zu einer internationalen Währung entwickeln wird, wobei sich das Tempo, mit dem dies geschieht wird, allerdings von Bereich zu Bereich unterscheiden wird. Was die Frage betrifft, welchen Ansatz das ESZB in dieser Hinsicht verfolgen wird, so möchte ich ganz unmißverständlich klarstellen: Das alles-überragende Ziel des ESZB darin besteht, die Preisstabilität im Euro-Währungsgebiet als ganzes zu gewährleisten; es gibt keinerlei Pläne, die internationale Verwendung des Euro zu fördern, den Euro als Instrument der Außenpolitik einzusetzen oder mit dem US-Dollar zu konkurrieren. Dennoch wird man akzeptieren müssen, daß der Euro allein aufgrund der zuvor beschriebenen Wirkung der Marktkräfte zu einer wichtigen internationalen Währung werden wird. Diese Rolle wird ihm voraus-sichtlich nach und nach mit der Zeit zuwachsen, wobei das Tempo dieser Entwicklung davon abhängt, wie erfolgreich das ESZB bei der Wahrung der Preisstabilität ist.

In diesem Zusammenhang muß die Rolle herausgestellt werden, die der Wechselkurs des Euro im Rahmen der Durchführung der Geldpolitik des ESZB spielen wird. Bei seinem Treffen in Luxemburg im Dezember 1997 hob der Europäische Rat in den Schlußfolgerungen der Präsidentschaft hervor, daß der Wechselkurs des Euro maßgeblich davon abhängen wird, wie sich die wirtschaftlichen Rahmen-bedingungen im Euro-Währungsgebiet im Vergleich zu denen anderer Länder darstellen. Generell bedeutet dies, daß der Wechselkurs des Euro als Ergebnis aller einschlägigen Wirtschaftspolitiken betrachtet werden sollte und nicht als separat vorgegebenes Ziel. Diese Position beruht natürlich auf dem Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (EG-Vertrag), nach dem vorrangige Ziel des ESZB in der Gewährleistung der Preisstabilität besteht. Für das ESZB steht dieses Ziel über allen anderen, also auch über etwaigen Wechselkurszielen. Schon im EWI-Bericht mit dem Titel “Die einheitliche Geldpolitik in Stufe 3” kam man zu dem Schluß, daß die Vorgabe eines Wechselkurs-zieles für die Geldpolitik in einem Wirtschaftsraum der Größe des Euro-Währungsgebiets nicht zweckmäßig sei, da es möglicher-weise nicht mit dem Ziel der Gewährleistung der Preisstabilität vereinbar ist. Wie ich letzte Woche bekanntgegeben habe, werden eine herausragende Rolle der Geldmenge mit einem Referenzwert für das Wachstums eines monetären Aggregats und eine auf breiter Grundlage erfolgende Beurteilung der Aussichten für die künftige Preisentwicklung in der Tat zu den Hauptelementen der stabilitätsorientierten geldpolitischen Strategie der EZB zählen. Darüber hinaus habe ich eine quantitative Festlegung des vorrangigen Ziels der einheitlichen Geldpolitik, der Preisstabilität, bekanntgegeben, nämlich einen Anstieg des Harmonisierten Verbraucherpreisindex (HVPI) für das Euro-Währungsgebiet von unter 2 % gegenüber dem Vorjahr.

Auf der Grundlage der gleichen Überlegungen kam der Europäische Rat im Dezember letzten Jahres trotz der im EG-Vertrag vorgesehenen Möglichkeit, verschiedene Wechselkursregelungen zu treffen, zu dem Schluß, daß sogenannte “allgemeine Orientierungen” für die Wechselkurspolitik im Euro-Währungsgebiet nur unter außergewöhnlichen Umständen wie zum Beispiel im Falle einer eindeuti-gen Fehlausrichtung formuliert werden dürfen. Dies bedeutet, daß das ESZB normalerweise und bei fehlenden formellen Vereinbarungen zur Regelung des Wechselkurses des Euro gegenüber anderen wichtigen Währungen auch für die Durchführung der Wechselkurspolitik im Euro-Währungsgebiet allein zuständig sein wird. Die EZB wird die Wechselkurse natürlich im Rahmen ihrer Gesamt-einschätzung einer Vielzahl wirtschaftlicher und finanzieller Indikatoren, die für die Geldpolitik von Bedeutung sind, analysieren und gegebenenfalls reagieren. Das heißt mit anderen Worten, daß es nicht zu einer Politik des “benign neglect”, also der wohlwollenden Mißachtung der Wechselkurs-entwicklung, kommen wird.

5. Fragen der Politik, die sich aus der Globalisierung ergeben

Die Verfügbarkeit einer internationalen Währung bietet den Wirtschaftssubjekten zwar manchen Vorteil, kann die Durchführung der Geldpolitik aber komplizierter machen. Ein Aspekt dabei ist beispielsweise die Tatsache, daß die Währung dann in weit größerem Maße auch außerhalb des eigenen Währungsgebiets umläuft, wodurch es schwieriger werden könnte, die Entwicklung der Geldmengenaggregate zu interpretieren und zu steuern. Der Geldumlauf im Ausland könnte die Verzerrung der Beziehungen zwischen den geld- und wirtschaftspolitischen Variablen verschärfen, die sich aus dem möglicherweise mit der Verwirklichung der Währungsunion einhergehenden “struktu-rellen Bruch” ergeben kann. Darüber hinaus wird die Frage diskutiert, ob der Euro anfangs mit vorübergehenden, auf Portefeuilleumschichtungen zurückzuführenden Problemen zu kämpfen haben wird. Es kann sicherlich nicht ganz ausgeschlossen werden, daß sich etwaige beträchtliche Kurs-änderungen des US-Dollar negativ auf die binnenwirtschaftliche Lage im Euro-Währungsgebiet auswirken. Dabei könnte nebenbei auch der WKM II berührt werden. Das ESZB wird natürlich genau beobachten, welche Konsequenzen sich aus solchen Wechselkursentwicklungen für die Geldwert-stabilität im Euro-Währungsgebiet ergeben. Allerdings könnten Kapitalzu- und -abflüsse zu Beginn der dritten Stufe auch nicht zuletzt deshalb eine stabilisierenden Ausgleich bewirken, da der Euro sowohl auf der Habenseite als auch auf der Sollseite attraktiv sein wird. Generell wird derzeit auch die Frage nach der Steuerung der frei schwankenden Wechselkurse beziehungsweise nach Zielzonen aufgeworfen. Mancher betrachtet die Wechselkurssteuerung anscheinend als wünschenswertes Ziel der internationalen Koordinierung der Politik, ein Vorhaben, das mit der Einführung des Euro scheinbar eher umzusetzen sei. Ich bin nicht dieser Ansicht und möchte jetzt darlegen, warum:

Seit dem Ende des Systems von Bretton Woods, also seit nunmehr fast 25 Jahren, sind die Wechsel-kursrelationen zwischen den wichtigsten Währungsblocks (den Vereinigten Staaten, Japan und dem D-Mark-Raum) von frei schwankenden Wechselkursen in einem de facto mehrpoligen Weltwährungs-system gekennzeichnet. Diese Entwicklung spiegelt eine Reihe von wichtigen wirtschaftsrelevanten Veränderungen gegenüber der in den ersten Jahren des Systems von Bretton Woods gegebenen Situation wider, und zwar insbesondere ein größeres Gleichgewicht im Hinblick auf die relative Wirtschaftsmacht der wichtigsten Industriestaaten und die Neigung der größten Länder ­ wie künftig auch der am Euro-Währungsgebiet teilnehmenden Staaten ­ ihre jeweilige Geldpolitik in erster Linie auf binnenwirtschaftliche Ziele auszurichten. Gleichzeitig führte die Liberalisierung des Kapital-verkehrs dazu, daß die Fähigkeit der Notenbanken und der Regierungen, Wechselkursschwankungen zu kontrollieren, drastisch eingeschränkt wurde. Der Vorrang, den große Staaten und Währungs-bereiche binnenwirtschaftlichen Zielen eingeräumt haben, erklärt, warum die Koordinierung der Politiken der drei wichtigsten Währungsblöcke in den letzten Jahren grundsätzlich unverbindlich blieb. Seit dem Ende des Systems von Bretton Woods und der Freigabe der Wechselkurse haben die drei wichtigsten Währungsblocks dennoch gelegentlich ad hoc-Maßnahmen ergriffen, um Fehl-ausrichtungen der Wechselkurse zu korrigieren oder das Wechselkursniveau zu stabilisieren. Beispiele solcher koordinierter, von den wichtigsten Industriestaaten vereinbarter Maßnahmen sind das Plaza-Abkommen (vom September 1985) und das Louvre-Abkommen (vom Februar 1987). Diese Länder haben jedoch stets davon abgesehen, formelle Wechselkursvereinbarungen zu treffen oder sich vor-bestimmte Regeln zur Steuerung der Wechselkurse aufzuerlegen.

Damit möchte ich keineswegs leugnen, daß sich die Koordinierung der Politik innerhalb der Grenzen der freiwilligen und einzelfallbezogenen Umsetzung der getroffenen Maßnahmen in einigen Fällen als wirksames Mittel zur Steuerung der Wechselkurse erwiesen hat. Ein gemeinsames politisches Vorgehen hat sich insbesondere in speziellen Situationen als wirksam herausgestellt, zum Beispiel bei spekulationsbedingten “Blasen” oder bei einem hohen Maß an Unsicherheit hinsichtlich der richtigen Interpretation der Fundamentaldaten. Dennoch bleibt ein großes, von mir geteiltes Unbehagen bezüg-lich der möglichen Folgen solcher Wechselkursvereinbarungen für die Geldwertstabilität im Inland. Es ist ganz einfach so, daß sie schnell die Handlungsfreiheit und Unabhängigkeit der Geldpolitik in einer Weise einschränken könnten, die sich nicht mit dem binnenwirtschaftlichen Gleichgewicht verein-baren läßt. Die derzeitigen Schwierigkeiten Japans sind zum Teil auf die dortige Bereitschaft Ende der achtziger Jahre zurückzuführen, im Interesse einer schwächeren Notierung des Yen eine expansionistische Geldpolitik zu verfolgen, die ­ wie man heute sieht ­ zur Ausweitung der Kreditvergabe und überhöhten Immobilienpreisen führte, was mit der Zeit in einen generellen Preisauftrieb mündete. Auch die Wirtschaftshausse, die zur gleichen Zeit im Vereinigten Königreich zu verzeichnen war und die letztlich zu einer tiefgreifenden Straffung der Geldpolitik führte, läßt sich zum Teil auf den Versuch zurückverfolgen, die Kursentwicklung des Pfund Sterling trotz eines Aufwertungsdrucks an die der D-Mark zu binden.

Insgesamt gesehen, bin ich der Ansicht, daß bei diskretionären Maßnahmen in diesem Bereich große Vorsicht geboten ist, denn die Folgen eines übereilten oder inkonsistenten Vorgehens können weit schlimmer sein als jene, die zu verkraften sind, wenn die Marktkräfte bei strikter Wahrung der Preis-stabilität im Inland weitgehend sich selbst überlassen werden. Ferner kann es selbst dann, wenn es allen Beteiligten gelingt, die Preisstabilität zu wahren, notwendige Verschiebungen der Wechselkurse geben, die mit Konjunkturunterschieden in den jeweiligen Währungsblöcken zusammenhängen. Eine völlige Wechselkursstabilität auf globaler Ebene könnte daher weder erreichbar noch erstrebenswert sein.

6. Der Euro und das internationale Währungssystem

Die Erörterung der Koordinierung der Politik bringt mich zu meinem letzten Themenbereich, nämlich die Auswirkungen, die die Verwirklichung der Währungsunion auf das internationale Währungs-system selbst haben könnte. Zunächst möchte ich festhalten, daß es sich nur schwer vorhersagen läßt, in welche Richtung die Entwicklung gehen wird und wie lange es dauern wird, ehe die Konsequenzen in vollem Umfang spürbar werden. Ich werde nicht auf die jüngste Kritik beziehungsweise die Vorschläge zur Reform des Systems eingehen, sondern mich auf die Faktoren konzentrieren, die dafür sprechen, daß sich das Gewicht des Euro bemerkbar machen wird.

Erstens wird die erhöhte Synchronität der Konjunkturentwicklung innerhalb des Euro-Währungs-gebiets (die unter anderem mit der einheitlichen Geldpolitik und des gemeinsamen Wechselkurses zusammenhängt) sowie deren Größe dazu führen, daß Wirtschaftsentwicklungen im Euro-Währungs-gebiet weltweit von beträchtlicher Bedeutung sein werden. Darüber hinaus wird das Vorgehen des ESZB ein größeres Gewicht haben als das einzelner nationaler Zentralbanken der EU in der Vergangenheit. Zweitens bedeutet der Zusammenschluß einer Reihe wichtiger Industriestaaten zu einem einheitlichen Währungsgebiet eine Verringerung der Anzahl wichtiger Währungsblöcke inner-halb des weltweiten Finanzsystems. Grundsätzlich müßte dies eine Vereinfachung der internationalen Entscheidungsprozesse über Finanz- und Wirtschaftsfragen nach sich ziehen. Insgesamt werden die Auswirkungen auch davon abhängen, inwieweit einheitliche interne Entscheidungsprozesse umgesetzt werden und wie das Euro-Währungsgebiet nach Außen vertreten wird. Drittens wird die Größe des Euro-Währungsgebiets ein ausgeglicheneres Verhältnis im Hinblick auf die relative Größe der einzel-nen, weltweit bedeutendsten Wirtschaftsmächte (die Vereinigten Staaten, das Euro-Währungsgebiet und Japan) schaffen. Jede dieser wichtigsten Wirtschaftsmächte wird in der Lage sein, einen größeren Einfluß auf die Ausgestaltung des Systems auszuüben, als ihnen in der Zeit eines fragmentierten Europas möglich war, und sie werden auch alle etwa gleichermaßen von den möglichen Folgen einer Instabilität betroffen. Ihr jeweiliges Interesse daran, einen größeren Teil der Verantwortung für die Steuerung und Verhinderung von Instabilität zu übernehmen, könnte daher steigen.

Vor diesem Hintergrund wird die im Auftrag des ESZB handelnde EZB zweifellos ein gewichtiges Wort bei der Erörterung internationaler Grundsatzfragen mitreden. Ihre Rolle wird etwa der ent-sprechen, die die Federal Reserve derzeit innehat. Wir werden nicht vor dieser Verantwortung zurück-scheuen. Tatsächlich spielt die EZB bereits jetzt eine gewiße Rolle bei internationalen Treffen, zum Beispiel bei der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich beziehungsweise den G-10-Ländern, beim IWF, der OECD und im Rahmen der G-7-Länder. Diese Rolle wird mit der Zeit an Bedeutung zunehmen. Es gibt in diesem Bereich zwar noch eine Reihe von offenen Fragen, die Absprachen zur Sicherung praktikabler und effizienter Regelungen schreiten aber voran und werden sich mit der Zeit fortentwickeln. Darüber hinaus wird generell eingesehen, daß die EZB noch nicht voll betriebsfähig ist und daß das Hereinwachsen des Euro in eine internationale Rolle Zeit bedarf. In sämtlichen einschlägigen Foren wird die Aufgabe der EZB darin bestehen, in ihrem Beitrag zur internationalen Debatte über Grundsatzfragen deutlich zu machen, daß ihr vorrangiges Ziel in der Gewährleistung der Preisstabilität besteht und daß die Erreichung dieses Ziels langfristig zugleich der beste Beitrag ist, den sie zur Sicherung der Stabilität internationaler Entwicklungen beitragen kann.

Schlußbemerkungen

Es steht wohl außer Frage, daß die Verwirklichung der Währungsunion bedeutet, daß die Rolle des Euro in der Weltwirtschaft gewichtiger sein wird als die der einzelnen Währungen, die in ihm aufgehen werden. Dies wird sich nicht zuletzt aus einer tiefgreifenden Umstrukturierung der Finanzmärkte innerhalb des Euro-Währungsgebiets ergeben, mit der sich ihre Effizienz und internationale Wettbewerbsfähigkeit erhöhen werden. Allerdings wird auch das Vertrauen in die künftige Stabilität des Euro im Inland und nach Außen von herausragender Bedeutung sein. In dieser Hinsicht bin ich trotz der Tatsache, daß wir uns in der Frage der internationalen Verwendung des Euro neutral verhalten werden, davon überzeugt, daß sowohl der eindeutige Auftrag des ESZB, die Preisstabilität zu wahren, als auch der institutionelle Rahmen des ESZB, der ein hohes Maß an Unabhängigkeit gewährleistet, die Entwicklung einer internationalen Rolle für den Euro automatisch fördern wird. Veränderungen des internationalen Währungsgefüges treten erst mit der Zeit ein, wie die Erfahrungen im Falle des US-Dollar im Verhältnis zum Pfund Sterling gezeigt hat. Ich bin aber recht zuversichtlich, daß der Euro in der Tat eine bedeutende Rolle in der internationalen Finanzwelt spielen wird. In diesem Zusammenhang wird unsere Geldpolitik im Mittelpunkt des Interesses stehen, und ihr wichtigstes Signal wird weiterhin darin bestehen, daß eine solide Finanzpolitik und Geldwertstabilität das beste Mittel zur Sicherung stabiler Wechselkurse sind.

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